Politik/Ausland

Nach Erdogan-Sieg: Jubel, Proteste und Manipulationsvorwürfe

Es scheint entschieden: Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat die von Manipulationsvorwürfen der Opposition überschattete Präsidentenwahl in der Türkei nach Angaben der Wahlkommission in der ersten Runde gewonnen. Mit den Wahlen wurde die Einführung des von Erdogan angestrebten Präsidialsystems abgeschlossen. Erdogan wird künftig Staats- und Regierungschef und mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet. Das Amt des Ministerpräsidenten wird abgeschafft.

Das von Erdogans AKP angeführte Parteienbündnis errang der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zufolge bei der Parlamentswahl am Sonntag außerdem die absolute Mehrheit der Sitze in der Nationalversammlung. Mit den Wahlen wurde die Einführung des von Erdogan angestrebten Präsidialsystems abgeschlossen. Die Opposition hatte für den Fall eines Erdogan-Sieges vor einer "Ein-Mann-Herrschaft" gewarnt.

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"Absolute Mehrheit"

"Aus den Ergebnissen geht hervor, dass Herr Recep Tayyip Erdogan die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen erhalten hat", sagte Wahlkommissionschef Sadi Güven nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur in der Nacht auf Montag in Ankara. Rund 97,7 Prozent der Stimmen seien in das System der Kommission eingegeben worden. "Die Zahl der Stimmen, die noch nicht vom System erfasst wurden, werden das Ergebnis nicht beeinflussen."

Bei der Parlamentswahl kommt das von Erdogans AKP geführte Parteienbündnis nach Anadolu-Angaben auf deutlich mehr als 340 der 600 Sitze. Anadolu zufolge lag die Wahlbeteiligung in der Türkei bei gut 88 Prozent. Wahlbeobachter meldeten Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung am Sonntag. Erdogan sprach dagegen von einem "Fest der Demokratie". Knapp 60 Millionen Türken waren zur Wahl aufgerufen, mehr als drei Millionen davon leben im Ausland.

Der bisherige und künftige Präsident sagte auf dem Balkon des AKP-Hauptquartiers vor jubelnden Anhängern: "Heute habt ihr bei den Wahlen am 24. Juni, die das künftige halbe Jahrhundert, die das Jahrhundert unseres Landes prägen werden, wieder auf unserer Seite gestanden." Und weiter: "Meine Brüder, die Sieger dieser Wahl sind die Demokratie, der Wille des Volkes und das Volk höchstpersönlich. Der Sieger dieser Wahl ist jeder einzelne unserer 81 Millionen Bürger."

Erdogan selber hatte sich schon zum Sieger der Wahl erklärt, als die Auszählung der Stimmen noch lief. "Die inoffiziellen Ergebnisse stehen fest", sagte er am Sonntagabend in Istanbul. "Demnach hat unser Volk meiner Person den Auftrag der Präsidentschaft und der Regierung gegeben." Bei der Parlamentswahl hätten die Wähler außerdem dem von seiner AKP geführten Parteienbündnis die absolute Mehrheit im Parlament verschafft.

"Ein-Mann-Regime"

Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete, nach Auszählung von mehr als 99 Prozent der Stimmen bei der Präsidentenwahl komme Erdogan auf 52,55 Prozent. Der Kandidat der größten Oppositionspartei CHP, Muharrem , landete demnach mit 30,67 Prozent auf Platz zwei. Auch die "Plattform für faire Wahlen" aus Wahlbeobachtern der Opposition sah Erdogan nach Auszählung von mehr als 96 Prozent der Stimmen bei 52,56 Prozent. Ince kam dort auf 31,34 Prozent. 

Ince hat Erdogans Sieg am Montag anerkannt. Er akzeptiere das offizielle Wahlergebnis, sagte der Oppositionskandidat in Ankara. Zugleich warnte er vor der Machtfülle Erdogans. Die Türkei sei von nun an ein "Ein-Mann-Regime". Das neue Regierungssystem sei "sehr gefährlich".

"Ruhe bewahren"

Die CHP rief ihre Anhänger dazu auf, Ruhe zu bewahren. Wie auch immer das Endergebnis ausfalle, das Volk solle sich "nicht provozieren lassen", sagte CHP-Sprecher Bülent Tezcan. Die CHP werde die Situation beobachten, bis die Wahlkommission sich geäußert habe.

Stundenlang tobte am Abend im Fernsehen und im Internet ein Streit um die Ergebnisse. Erdoğans Hauptrivale Ince warf der Regierung schwere Manipulationen vor. Im kurdischen Südosten sollen kistenweise fertig ausgefüllte Stimmzettel aufgetaucht und Wahlbeobachter am Zutritt zu Wahllokalen gehindert worden sein. In Istanbul wurde der Generalsekretär der oppositionellen Rechtspartei Iyi Parti, Ümit Özdag, von AKP-Anhängern tätlich angegriffen, wie Cumhuriyet meldete. In der Osttürkei wurde ein Politiker dieser Partei bei einem Streit getötet. Aus Furcht vor Protesten ließ die AKP vor ihren Zentralen und der nationalen Wahlbehörde in Ankara Lastwagen auffahren, die die Gebäude schützen sollten. In der Nacht kam es etwa in Istanbul zu Protesten.

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Feiern und ein Auto-Corso in Wien

Bei der Wahl in Österreich und Deutschland erzielte Erdogan ein deutlich besseres Ergebnis als zu Hause. Nach Auszählung von fast 80 Prozent der Stimmen in Deutschland kam er auf 65,7 Prozent der Stimmen im Vergleich zu 52,6 Prozent insgesamt. In Österreich lag die Zustimmung für Erdogan nach Zählung von mehr als 80 Prozent der Stimmen sogar bei 72 Prozent.

In zahlreichen europäischen Städten jubelten Erdogan-Fans auf den Straßen. Die Feier von rund 200 Türken Sonntagabend auf der Fußgängerzone in Wien-Favoriten anlässlich der Wiederwahl ist ohne Zwischenfälle beendet worden, teilte die Wiener Polizei auf APA-Anfrage Montagfrüh mit. Eine Gruppe von Türken war mit Fahnen und Parolen rufend vom Reumannplatz zur Gudrunstraße marschiert. Auch ein Auto-Corso fand statt.

Kneissl: Kein Beitrittskandidat

Am Montag betonte Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) in Luxemburg, die Türkei sei "aus österreichischer Sicht kein Beitrittskandidat" für die EU. Man strebe "vielmehr eine strategische Partnerschaft mit der Türkei an", verwies Kneissl auf das Regierungsprogramm. Sie nannte außerdem laufende diplomatische Bemühungen beim Thema EU-Erweiterung. Die sogenannten EU-Schlussfolgerungen sollen am Dienstag und beim EU-Gipfel Ende dieser Woche beschlossen werden. Dem Vernehmen kämpft Österreich dagegen, dass der Türkei weitere EU-Annäherungsschritte in Aussicht gestellt werden.

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Erdogans wichtigstes Projekt

Die Einführung des Präsidialsystems ist Erdogans wichtigstes politisches Projekt. Die Opposition hatte die Rückkehr zum parlamentarischen System versprochen und wollte außerdem den Ausnahmezustand aufheben. Das hatte Erdogan dann im Wahlkampf für den Fall seiner Wiederwahl auch zugesagt.

Bei der Präsidentenwahl lagen der inhaftierte Kandidat der pro-kurdischen HDP, Selahattin Demirtas, und Meral Aksener von der national-konservativen Iyi-Partei mit gut acht beziehungsweise gut sieben Prozent in etwa gleichauf. Zwei weitere Kandidaten spielten keine Rolle.

Hier der KURIER-Ticker zum türkischen Wahlsonntag zum Nachlesen

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