Vor den Türen Proteste, drinnen verordneter Weihnachtsfriede
Die kritischen Stimmen kamen – wieder einmal – von außen: Vier barbusige Frauen protestierten vor dem EU-Ratsgebäude gegen den „Diktator“ Putin. Die EU müsse ihre Verbindungen zu ihm sofort abbrechen, ein zu enger Kontakt könnte „verheerende Folgen“ haben.
Die offiziell verordnete Harmonie beim 30. EU-Russland-Gipfel am Freitag in Brüssel konnten die Demonstrantinnen nicht stören. Beim Auftritt von Präsident Wladimir Putin mit Ratspräsident Herman Van Rompuy und Kommissions-Chef José Manuel Barroso wurden Gemeinsamkeiten in den Vordergrund gestellt: Man habe eine „konstruktive Arbeitssitzung“ gehabt, in der man die „fruchtbare Zusammenarbeit“ und deren „große Potenziale“ erörtert habe.
Hinter der offiziellen Harmonie verbirgt sich viel Konfliktpotenzial. Ein wichtiges Beispiel: die Energiepolitik.
Ein Drittel aller Energie-Importe der 27 Mitgliedsstaaten stammt aus Russland. Seit Jahren – und ganz besonders seit der Gas-Krise 2009 – versucht die Union daher, ihre Abhängigkeit von Russland zu verringern.
Abhängig von Russland
Brüssel strebt nach einer Diversifizierung seiner Energielieferanten – ganz zum Ärger Moskaus, gehen doch 80 Prozent der Öl-Exporte in die EU. Für Putin ist die Energiepolitik der EU „schädlich“; ein Dorn im Auge ist dem Kreml unter anderem die von der EU verlangte Trennung von Energielieferanten und Leitungsbetreibern, die Machtmonopole eindämmen soll. Russland fordert eine Ausnahmeregelung, damit seine Pipeline-Projekte nicht darunter fallen.
Ärger gibt es auch wegen des Verfahrens gegen Wettbewerbsverzerrung, das die Kommission gegen den russischen Energie-Riesen Gazprom eröffnet hat: Aus Brüsseler Sicht missbraucht der Konzern seine Marktmacht in Ost- und Mitteleuropa.
Europas Position im Energie-Machtkampf wurde dieser Tage ausgerechnet durch Amerika gestärkt: Im US-Senat liegt seit Mitte Dezember ein Gesetzesantrag vor, wonach amerikanische Produzenten die europäischen NATO-Staaten künftig mit Flüssiggas beliefern dürfen. Das würde die Unabhängigkeit von russischen Energielieferungen reduzieren. Im Büro von EU-Energiekommissar Günther Oettinger wird der Vorschlag begrüßt; wünschenswert wäre, wenn dieses Angebot langfristig nicht nur für NATO-Mitglieder, sondern für alle EU-Staaten gelten würde.
Visa-Erleichterungen
Ein weiteres heikles Thema auf dem Gipfel: Die Visumpflicht. Seit 2007 gibt es ein Abkommen über Visa-Erleichterungen, derzeit wird über eine Ausweitung und Ausnahmen für bestimmte Gruppen verhandelt. Brüssel ziert sich, fordert von Moskau fälschungssichere Pässe und entschlosseneren Kampf gegen illegale Migration und Organisiertes Verbrechen.
Putin sagte am Freitag, er hoffe, die Visa-Frage werde „nicht politisiert“, denn: „Das Fehlen von visumfreien Reisen wirkt abschreckend auf die Entwicklung unserer Wirtschaftsbeziehungen.“