Video-Skandal um Sicherheitschef von Macron
Von Danny Leder
Frankreichs Staatsführung steckt in einem fürchterlichen Erklärungsnotstand, die Opposition tobt und die Justiz ermittelt, seit Medien an Hand eines Video-Streifen am Donnerstag enthüllt haben, dass ein Intimus von Präsident Emmanuel Macron sich fälschlich als Polizist ausgegeben und an linken Demonstranten persönlich Hand angelegt hatte.
Der 26 jährige Alexandre Benalla, der hauptberuflich für die Sicherheit des Staatschefs zuständig ist, begleitete am vergangenen 1.Mai einer Sonder-Einheit der Polizei, die eine Kundgebung linker Macron-Gegner in einem Uni-nahen Pariser Viertel auflöste. Benalla trug der bei dieser Gelegenheit einen Polizei-Helm und eine Armbinde, die ihn als Polizisten auswies. Er stürzte sich auf eine Demonstrantin, die er wegzerrte und zu Boden drückte. Während dessen wurde der Begleiter der jungen Frau von einem ebenfalls anwesenden, weiteren Mitarbeiter des Sicherheitsteams von Macron auf die Knie gezwungen und mit der Faust bedroht. Benalla kam dazu, zerrte den knienden Demonstranten wieder hoch, um ihn anschließend mit einem Hieb auf den Kopf auf den Boden zu werfen. Erst als Benalla merkte, dass er gefilmt wurde, ließ er von seinem Opfer ab und ergriff die Flucht.
Auf der Ehrentribüne
Seine Vorgesetzten im Elysée-Palast wussten tags darauf Bescheid, trotzdem sah man ihn seither an der Seite von Macron auf der Ehrentribüne beim Nationalfeiertag am 14. Juli und beim Empfang für Frankreichs Fußball-Team nach dem WM-Sieg.
In einer ersten Stellungnahme rechtfertigte sich das Präsidentenamt am Donnerstag mit der Erklärung, Benalla sei 14 Tage suspendiert worden und habe in dieser Zeit keinen Gehalt bezogen. Tatsächlich entschloss sich das Präsidentenamt erst am Freitag, Benalla zu kündigen. Zu diesem Zeitpunkt war aber die Medienschelte bereits voll im Gang und die Opposition schon außer Rand und Band.
Am Freitag kamen auch Benalla und sein Kumpan vom 1. Mai in U-Haft. Die Voruntersuchung der Justiz lautet auf: „in Gemeinschaft ausgeübte Gewalttätigkeiten“ und „illegales Tragen von Abzeichen öffentlicher Amtsträger“, worauf bis zu vier Jahre Haft stehen. Auch der Kabinettschef von Macron wurde verhört. Damit zieht sich das Netz der Beschuldigungen immer enger um den Staatschef. Dieser bewahrte in der Affäre bisher trotz Dauerbeschuss durch Journalisten eisernes Schweigen.
Der Innenminister wackelt
Vorstellbar ist, dass Innenminister Gérard Collomb geopfert wird und zurücktritt. Collomb, der als besonders verlässlicher Gefährte und Lieblingsminister von Macron gilt, muss sich Anfang kommender Woche einer Untersuchungskommission des französischen Senats stellen. Er hat einen schweren Stand, weil inzwischen nachgewiesen wurde, dass auch er von Anfang über den gewalttätigen Ausritt von Benalla am 1.Mai im Bilde war. Die Justiz hat auch ein Verfahren gegen drei hohe Polizei-Offiziere eröffnet, weil diese ihrerseits über Video-Aufnahmen der Vorfälle verfügten.
Die Affäre spitzt sich damit auf eine entscheidende Frage zu: weshalb meldete die Staatsführung, die von Anfang informiert war, die strafbaren Handlungen von Benalla nicht sofort der Justiz, wie es das Gesetz vorschreibt?
Die Antwort auf diese Frage könnte in einem Wesenszug von Macron liegen, wie das Pariser Blatt „Le Monde“ unter Berufung auf enge Mitarbeiter des Staatschefs mutmaßt: demnach würde Macron seine Gefährten prinzipiell nicht fallen lassen, wenn diese sich „stets loyal“ verhalten hätten.
Benalla gehörte ursprünglich zum Sicherheitsstab der Sozialistischen Partei um Präsident Francois Hollande, wurde dort entlassen und wechselte daraufhin in die Reihen der neuen Bewegung, die sich um Emmanuel Macron scharte. Da erwies er sich als umsichtiger und einfallsreicher Organisator mit viel Autorität trotz seines jungen Alters. Er errang das Ansehen von Macron und wurde zu dessen quasi ständigen Begleiter. Ob bei Macrons feierlichen Amtsübernahme oder bei privaten Rad-Touren mit seiner Frau Brigitte, stets war der junge Benalla an seiner Seite zu sehen.
Sträfliche Nachsicht
Als Macron in den Elysée-Palast einzog, stützte er sich eher auf sein eigenes Team als auf die von Amtswegen für die Sicherheit des Staatschefs vorgesehenen Beamten. Das entsprach auch dem Credo des jungen Präsidenten, der lieber frische Kräfte aus der Zivilgesellschaft als alteingesessene Beamte um sich scharte.
Benalla hatte sich auch als Unternehmer in der Sicherheitsbranche versucht. Er hatte aber bereits einen schlechten Ruf: er war wegen seiner gelegentlichen Gewaltausbrüche gefürchtet, er gab sich immer wieder zu Unrecht als Polizeibeamter aus, zeigte sich mit Waffen, für die er keine Genehmigung hatte, und neigte auch sonst zu Aufschneiderei und Gesetzesübertretungen.
Macron, soweit er über diese Exzesse im Bilde war, ließ Benalla einiges durchgehen, weil er ihn vermutlich für einen überschwänglichen aber tüchtigen Quereinsteiger hielt – ein bischen in der Art, wie sich Macron selber in der Politik sieht. Diese sträfliche Nachsicht dürfte dem französischen Präsidenten jetzt teuer zu stehen kommen.