Ukraine wirbt in Österreich für EU-Kandidatenstatus
Die Ukraine intensiviert auch auf parlamentarischer Ebene Bemühungen, die EU-Staaten von der Sinnhaftigkeit eines EU-Beitrittskandidatenstatus für das Land zu überzeugen. Wenige Tage vor einem Österreich-Besuch von Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk ist deshalb auch der prominente Oppositionsabgeordnete Oleksij Hontscharenko nach Wien gekommen. Österreich sei in Bezug auf den Status eines der skeptischen Länder, erklärte Hontscharenko am Samstag im Gespräch mit der APA.
Die Ukraine verdiene den EU-Kandidatenstatus, der freilich keine Mitgliedschaft sei, betonte Hontscharenko. "Für die Menschen in der Ukraine ist der Status aber angesichts des furchtbaren Kriegs und angesichts von Tod und Zerstörung ein wichtiges Signal dafür, dass das Land eine Zukunft hat", sagte er der APA in einem Wiener Innenstadthotel. Der Politiker sitzt für die Partei "Europäische Solidarität" von Ex-Präsident Petro Poroschenko im ukrainischen Parlament und ist international durch scharfzüngige Auftritte in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats bekannt.
"Ukraine hat viel zu bieten"
Der Status und die Integration der Ukraine in die EU sei aber auch eine Chance, das europäische Projekt insgesamt zu beleben, erläuterte der Abgeordnete. Die Geschichte des Landes zeige, dass Menschenrechte, Rechtsstaat und Demokratie Werte seien, für die man kämpfen müsse. Gleichzeitig habe die Ukraine auch viel zu bieten, sie spiele eine wichtige Rolle für die globale Lebensmittelsicherheit, habe die "stärkste europäische Armee" sowie großes technisches und wissenschaftliches Potenzial.
Lange Zeit seien Politiker in Europa davon ausgegangen, dass die Ukraine als Pufferstaat zwischen EU und Russland für Sicherheit am Kontinent sorgen würde. "Man muss nun aber eingestehen, dass das nicht funktioniert hat, und es sollten Schlüsse gezogen werden, die Ukraine integriert werden und derart eine europäische Sicherheitsordnung gebaut werden", sagte Hontscharenko, der auch aus einer europäischen Perspektive einen mit westlicher Hilfe ermöglichten Sieg der Ukraine im Krieg gegen Russland als einzig gangbaren Weg erachtet. Ein Sieg Russlands würde einen Krieg etwa Österreich 1.000 Kilometer näher bringen, ein Patt würde einen fortdauernden Krieg bedeuten, der für eine wachsende Lebensmittel- und Energiekrise, weitere Flüchtlinge sowie ökologische Risken etwa durch Atomkraftwerke sorgen würde.
In Bezug auf den derzeit angestrebten Status als Beitrittskandidat der EU wisse man freilich, dass einige EU-Staaten hier skeptisch seien, erläuterte der Abgeordnete und nannte konkret Deutschland, Frankreich, Österreich und die Niederlande. "Für Österreich ist der Westbalkan wichtig und dafür gibt es verständliche Gründe", zeigte Hontscharenko Verständnis. Er glaube aber, dass sich Österreich letztlich einer Mehrheitsentscheidung anschließe. Eine ähnliche Erwartungshaltung hatte der Politiker in Bezug auf Ungarn, das sich durch ein angespanntes Verhältnis zur Ukraine auszeichnet.
Schlüsselrolle
"Im Großen und Ganzen scheint alles aber darauf hinauszulaufen, dass die Schlüsselentscheidung von Emmanuel Macron und Olaf Scholz gefällt werden wird", erläuterte er. Mit Verweis auf seine Gespräche in Deutschland sprach er von einer "interessanten Situation". Abgesehen von einer diesbezüglich gespaltenen SPD würden das deutsche Außenamt, die Grünen, die FDP und die CDU für den Status plädierten. "Alles hängt von Scholz ab, der den Beitrittskandidatenstatus einstweilen nicht unterstützt", erklärte er.
Abgesehen von aktueller Unterstützung beim Status und bei Sanktionsfragen wünschte sich der Politiker von Österreich symbolträchtige Projekte in der Ukraine. "Eine schöne Geste des neutralen Österreichs wäre etwa, in der Westukraine durch österreichische Firmen und mit österreichischen Budgetmitteln eine kleine Stadt zu errichten, in die derzeit in Österreich lebende Flüchtlinge zurückkehren könnten", sagte er: "So ein Städtchen mit Mozart- und Freudstraßen würde unsere Staaten jahrzehntelang verbinden." Wichtig wäre aber, dass man mit derartigen Projekten bereits jetzt beginne.
Innenpolitisch hielt sich der Oppositionelle aus der Schwarzmeermetropole Odessa, der auch in der Öffentlichkeit weiterhin auch seine russische Muttersprache verwendet, merklich zurück. Er sei zwar von Anfang an in Opposition zu Präsident Wolodymyr Selenskyj gestanden, erläuterte er. "Seit dem 24. Februar gibt es für mich aber keinen Präsidenten, sondern nur noch den Oberbefehlshaber Selenskyj. Und ich kann ihn nur unterstützen, ihm ausschließlich helfen", sagte er. Wenn die Regierung zuletzt Fernsehsender habe abschalten lassen, die ihrer Ansicht nach mit dem ehemaligen Präsidenten Poroschenko zu tun haben, dann erachte er das für einen Fehler, betonte er. Derzeit sei jedoch keine Zeit für politische Debatten, denn das Regime von Wladimir Putin sei der Feind.