Politik/Ausland

Das Projekt Hängebrücke hängt

Meterdicke Betonpfeiler recken sich aus dem Meeresgrund in den blauen Abendhimmel. Sie tragen eine kühn geschwungene, von gleißendem Licht überflutete vierspurige Autobahn. Parallel dazu verläuft eine zweigleisige Eisenbahnstrecke für Hochgeschwindigkeitszüge, an den heikelsten Stellen wird sie von der Autobahn überwölbt. Mit einer Gesamtlänge von neunzehn Kilometern wird die Brücke, die die Halbinsel Krim mit dem russischen Festland verbinden soll, eine der längsten Brücken der Welt.

Wer bei der Präsentation des Projekts dabei war, glaubte sich nicht im 21. Jahrhundert, sondern in fernster Zukunft. Denn Russland fiel bisher – zumindest im zivilen Bereich – nicht durch Wunderwerke der Ingenieurkunst auf.

Triumph oder Wahn

Und selten in jüngerer Vergangenheit hat ein Projekt die Geister so gespalten wie die Brücke. Wohlmeinende feierten sie bereits als Triumph des Willens über die Gesetze der Physik, Kritiker machten sie als Ausgeburt von Größenwahn und nackter Verzweiflung nieder.

Alle Inhalte anzeigen
Zwar sind es nur knapp viereinhalb Kilometer, die die Krim im Osten von der Region Krasnodar im russischen Nordkaukasus trennen. Doch dazwischen liegt ein Sund: Die Straße von Kertsch, die das Schwarze und das weiter nördlich gelegene Asowsche Meer verbindet und die Krim zur Halbinsel macht. Zur Exklave, im Norden fest umschlossen von der Ukraine, zu der sie aus Sicht Russlands seit genau einem Jahr nicht mehr gehört. In einem Referendum Mitte März 2014 hatten 97 Prozent der Krimbewohner für den Anschluss an Russland gestimmt. Kiew aber betrachtet die Krim weiter als Teil seines Staatsgebiets.

Putin drängt

Das Brücken-Projekt ist daher Chefsache. Der Termin für die Fertigstellung – Dezember 2018 – müsse unter allen Umständen gehalten werden, forderte Wladimir Putin erst in seiner Jahresbotschaft an das Parlament Anfang Dezember erneut.

Die Arbeiten sollen schon bald anlaufen, derzeit sind auf der künftigen Großbaustelle indes nur Minenräumer am Werke. Die strategisch wichtige Straße von Kertsch war im Zweiten Weltkrieg heiß umkämpft. Die Wehrmacht hatte zwar die Krim besetzt, der Pantersprung zur kaukasischen Schwarzmeerküste und damit der Marsch zu den Ölfeldern an der Kaspi-See scheiterte jedoch am erbitterten Widerstand der Roten Armee.

Zwar wollte Russlands Regierung noch vor den Neujahrsferien den Generalauftragnehmer bestimmen. Doch einer der potentesten Bewerber – Präsident Putins Freund Gennadi Timtschenko, dem unter anderem der Baukonzern Stroitransgaz gehört – warf das Handtuch. Er ließ wissen, dass er einen Ruf zu verlieren habe.

Skeptisch ist auch die staatliche Konkurrenz. Die Baustelle, warnte Roman Nowikow, der Chef des regionalen Straßenbaukonzerns Taman, liege in einer seismisch aktiven Zone, in der mit heftigen Beben gerechnet werden müsse.

Die Hängebrücke hängt, titelte unlängst die Nesawissimaja Gaseta. Nicht nur wegen der Kosten: Derzeit jonglieren die Planer mit 228 Milliarden Rubel, was vor dessen Talfahrt stolze 50 Mrd. Euro waren. Russische Unternehmen schrecken vor allem Tücken von Klima und Geologie ab, ausländische Konkurrenten die Sanktionen, die der Westen verhängt hat.

Im Winter toben orkanartige Stürme, dazu kommt mindestens alle fünf Jahre schwerer Eisgang mit meterdicken Schollen. Um deren Druck standhalten zu können, müssen die Bögen daher überdurchschnittlich lang, die Pfeiler extrem dick und robust sein. Und sehr fest im Gestein verankert werden. Doch in welcher Tiefe die Schlammschicht endet, die den Seeboden bedeckt, wissen Geologen bisher nicht.

Schlamm und Eis wurden schon der Vorgängerin der Krim-Brücke zum Verhängnis. Zwar wurde sie nach der Befreiung der Halbinsel 1944 in rekordverdächtigen vier Monaten fertig. Das Material hatten schon die deutschen Besatzer herangekarrt, und für den Bau wurden vor allem Gulag-Häftlinge verpflichtet, deren Arbeit wenig kostete.

Alte Brücke hielt kurz

Doch Projektierungsfehler, schlampige Ausführung und ein scharfer Nordost-Wind, der Eis aus dem Asowschen Meer vor sich her trieb, sorgte dafür, dass die ersten Pfeiler schon drei Monate nach Inbetriebnahme wie Streichhölzer einknickten. Am 11. Februar 1945 rollte der letzte Zug über die Brücke. Mit Stalin, der sich zuvor in Jalta mit den Westalliierten über die Nachkriegsordnung in Europa geeinigt hatte.

Damit sich das Brücken-Desaster in diesem Jahrhundert nicht wiederholt, plädierten die Russischen Eisenbahnen (RZD) anfangs sogar dafür, Schienen wie auch Straßen nicht über, sondern unter Wasser zu verlegen. Die Tunnel-Idee scheiterte jedoch an weiteren Bedenken der Geologen, die vor tektonischen Brüchen und aktiven Untersee-Schlammvulkanen warnen. Durch Ineffizienz und Korruption wurde schon bei anderen Prestigeprojekten die Anfangskalkulation um ein Mehrfaches überzogen. Allein die Olympischen Winterspiele in Sotschi kamen den russischen Steuerzahler vier Mal teurer als geplant. Seit russischen Unternehmen Zugang zum westlichen Finanzmarkt erschwert ist, klagen viele über Liquiditätsengpässe.

Mit der Brücke aber steht und fällt die Integration der Krim, in deren Ergebnis die Schwarzmeerhalbinsel nicht nur von Transferleistungen aus dem russischen Haushalt unabhängig werden, sondern möglichst schnell möglichst viel Geld selbst verdienen soll. Vor allem mit Tourismus. Mit stundenlangem Warten auf die Fähre aber ist selbst die Geduld krisengestählter russischer Badegäste überfordert. Zumal bei Nebel und rauer See, wenn dann tagelang nichts mehr geht und sich die Autos der Reisenden schon mehrere Kilometer vor der Hafeneinfahrt stauen.

Am Wetter dürfte auch die Seilbahn scheitern, die Tüftler als Zwischenlösung vorschlagen. Und Gerüchte machen bereits die Runde, wonach der erste Zug frühestens 2021 über die Brücke rollen wird. Pessimisten bezweifeln selbst das.

Es wäre natürlich eine zynische Wette, aber eine mit ziemlich klarem Ausgang: Bei der Frage, was früher fertig sein wird – die geplante Brücke von Russland auf die Krim oder der russische Landkorridor dorthin –, würde kaum wer auf Wladimir Putins Prestigeprojekt Brücke setzen. Die technische Machbarkeit des geologisch heiklen Baus steht in keiner Relation zur militärischen Machbarkeit, über das Staatsgebiet der Ukraine bis zur Krim vorzustoßen.

Nein, dass der russische Präsident einen Landweg freikämpfen will bzw. von prorussischen Separatisten freikämpfen lässt, ist natürlich eine Unterstellung. Wenn auch eine sehr plausible – was nutzt erobertes Land, wenn man keine Verbindung dorthin hat?

Dass die Krim vor einem Jahr "erobert" wurde, ist keine Unterstellung. Zur Erinnerung: Nach dem Sieg des Euromaidan über Kiews alte Führung besetzten bewaffnete (pro-)russische Kräfte das Regionalparlament; es beschloss ein Abspaltungsreferendum; die Krim-Bevölkerung stimmte zu angeblich 97 Prozent für Russland; und Putin ließ den Anschluss vollziehen.

Spannend: Von der Krim ist heute nie mehr die Rede, wenn es um die Krise in der Ukraine geht – der Westen hat den Raub der Krim als unabänderlich geschluckt. Man ist schon froh, wenn Putins Schergen nicht weiter vorrücken in der Ostukraine. Hält das Waffenstillstandsabkommen dort, könnten sogar die Sanktionen gegen Moskau wieder zurückgefahren werden.

Und Putin? Lacht sich eins. Die Ukraine hat er. Den Rückhalt seiner Bevölkerung hat er trotz oder wegen des Drucks von außen auch (nur noch jeder Vierte in Russland kann sich einen anderen als ihn als Präsidenten vorstellen). Und der Rest, etwa der Zugang zur Krim, wird sich schon weisen. Wetten?