Ukraine: Oligarchen-Marionette oder Eliten-Schreck?
Von Stefan Schocher
Poroschenkos Zeit an der Spitze des ukrainischen Staates ist vorbei. Am Montag übernahm der Neue das Amt: Wolodymyr Selenskyj, einst Schauspieler, jetzt Staatsmann. Einer ohne Hausmacht im Parlament.
In seiner ersten Amtshandlung tat Selenskyj denn auch das, was zu erwarten war: Er löste das Parlament auf, legte der Regierung den Rücktritt nahe und verkündete Neuwahlen. Ihm zufolge sollen die schon in zwei Monaten stattfinden, und nicht erst wie geplant im Oktober. Was er dringend braucht, um regieren zu können, ist eine Mehrheit im Parlament und einen Regierungschef. Im Gespräch ist Julia Timoschenko.
Dabei aber sind die Augen derzeit vor allem auf Selenskyjs Rückendecker gerichtet: Ihor Kolomoisky. Auf der Liste der reichsten Ukrainer steht Kolomoisky auf Platz drei. Seit 2017 war er aber nicht mehr im Land, lebte erst in der Schweiz, später in Israel. Vergangenen Donnerstag kehrte Kolomoisky schließlich in die Ukraine zurück. Und damit stellt sich die Frage: Wird der Oligarch zum eigentlichen Regenten? Denn er gilt als engster Wahlhelfer und Financier Selenskyjs.
Bankenstreit
Kolomoisky ist dick im Banken- und Öl-Geschäft vertreten, kontrolliert Anteile an der staatlichen Fluggesellschaft sowie den Medienkonzern 1+1. Er ist einer, der trotz geltendem Verbot von Doppelstaatsbürgerschaften in der Ukraine ganz offen drei Pässe (Ukraine, Zypern, Israel) besitzt und damit öffentlich angibt: Er habe drei Pässe, nicht zwei. Die Ukraine verlassen hatte er aber, weil er im Streit mit dem damaligen Präsidenten Poroschenko Strafverfolgung oder Auslieferung an die USA fürchtete. Diese Befürchtungen hat er jetzt scheinbar nicht mehr.
Es war das Filetstück aus Kolomoiskys Imperium, das in den vergangenen Jahren für Streit gesorgt hatte: Die „PrivatBank“. Poroschenko hatte die Bank 2016 verstaatlichen lassen, nachdem sich die Pleite abgezeichnet hatte. Kolomoisky, dem eine gewisser Hang zur Rache nachgesagt wird, tat seither alles, um seine Bank zurück zu erkämpfen – und Poroschenko zu schaden. Kolomoisky will aber nicht nur seine Bank, er will sie auch befüllt wissen: Er fordert 2 Mrd. Dollar Entschädigung.
Geht die Bank an Kolomoisky? Bleibt sie verstaatlicht? Es ist diese Frage, an der sich misst, wie eigenständig Selenskyj agieren kann.