Politik/Ausland

Ukraine meldet Raketentreffer auf Energieanlagen

Tag 234 nach dem russischen Angriff auf die Ukraine:

Mehrere Regionen der Ukraine sind nach Behördenangaben in der Nacht auf Samstag von russischen Truppen beschossen worden. In der frontnahen Großstadt Saporischschja im Süden wurden demnach Objekte der Infrastruktur getroffen. Es gebe Brände. Gouverneur Olexander Staruch, rief die Bevölkerung auf, sich in Schutzräume zu begeben. Die Druckwelle einer Explosion habe zudem 16 Wohngebäude beschädigt. Verletzte gebe es aber nicht. Samstagfrüh kurz nach 7.00 Uhr Ortszeit (6.00 Uhr MESZ) wurde für die gesamte Ukraine Luftalarm ausgelöst, weil weitere Angriffe befürchtet wurden.

Über dem benachbarten Gebiet Dnipropetrowsk gelang es nach Angaben der örtlichen Behörden, fünf feindliche Drohnen iranischer Bauart abzufangen. Im Kreis Nikopol schlugen mehr als 50 Geschosse von Mehrfachraketenwerfern und schwerer Artillerie ein. Zwei Menschen seien verletzt worden.

Energieanlage beschädigt

Durch einen russischen Raketentreffer ist eine Anlage zur Energieversorgung im Umland der ukrainischen Hauptstadt Kiew schwer beschädigt worden. Das teilte der Energieversorger Ukrenerho am Samstag mit. Der genaue Ort wurde nicht genannt. Spezialisten arbeiteten daran, für Kiew und die Zentralukraine wieder eine zuverlässige Stromversorgung herzustellen, hieß es.

Die Bürger wurden aber aufgefordert, vor allem in den Abendstunden wenig Strom zu verbrauchen, um das Netz nicht zu überlasten.

Auch ukrainischer Beschuss

Russland hat seit Beginn dieser Woche den Beschuss des ukrainischen Hinterlandes verstärkt und zielt vor allem auf die Zerstörung der Energie- und Wasserversorgung. Russische Quellen berichteten am Samstag von ukrainischem Beschuss auf die Stadt Donezk und auf Nowa Kachowka am Unterlauf des Flusses Dnipro (Dnepr). In Donezk sei eine Frau getötet worden. Unabhängige Bestätigungen für diese Angaben gab es nicht.

600 Ortschaften erobert

Die Ukraine hat nach eigenen Angaben im September mehr als 600 Ortschaften zurückerobert. Darunter seien auch 75 Orte in der Region Cherson im Süden des Landes, teilt das Ministerium für die Reintegration vorübergehend besetzter Gebiete am Freitag mit.

Unterdessen wurden am Freitag die ersten Evakuierungen aus der Region Cherson erwartet, zu der der von Russland eingesetzte Gouverneur der besetzten Region aufgerufen hatte. Cherson liegt gegenüber der bereits 2014 von Russland annektierten Halbinsel Krim und ist deshalb strategisch besonders wichtig.

Alle Inhalte anzeigen

Etwa 500 Ortschaften seien außerdem in der nordöstlichen Region Charkiw zurückerobert worden, so das ukrainische Ministerium. Dort waren die ukrainischen Truppen im September weit in die russischen Linien vorgestoßen.

43 Ortschaften seien in der Region Donezk zurückerobert worden, sieben in Luhansk. "Die Fläche der befreiten ukrainischen Gebiete hat erheblich zugenommen", teilt das Ministerium auf seiner Website mit. Russland hatte Ende September Cherson, Luhansk und Donezk zusammen mit der Region Saporischschja annektiert, was international nicht anerkannt wird.

London: Russische Truppen rücken weiter auf Bachmut vor

Russische Truppen haben bei ihrem Angriff auf die Stadt Bachmut in der Ostukraine nach britischer Einschätzung Fortschritte gemacht. Einheiten der Separatisten seien offenbar in die Dörfer Opytne und Iwanhrad südlich von Bachmut vorgerückt, teilte das Verteidigungsministerium in London am Freitag unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse mit.

Auch die Söldnergruppe Wagner sei an den Kämpfen beteiligt. Von Wagner angeführte Kräfte hätten zuletzt Geländegewinne im Donbass erzielt. Allerdings hätten die Russen seit Anfang Juli kaum Siedlungen erobert, hieß es in London weiter.

Angriff auf Gebiet um Kramatorsk und Slowjansk

Russland wolle eine Einnahme von Bachmut wahrscheinlich als Auftakt zu einem Angriff auf das Gebiet um Kramatorsk und Slowjansk nutzen, das wichtigste von ukrainischen Kräften kontrollierte Bevölkerungszentrum im Gebiet Donezk, so das britische Ministerium. Die vollständige Eroberung der Gebiete Donezk und Luhansk im Donbass galt lange als wichtigstes Kriegsziel des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Russland setze seine Offensive im Donbass fort und mache langsam Fortschritte, hieß es in London. Allerdings seien die russischen Truppen an ihren Flanken erheblichem Druck durch die ukrainischen Streitkräfte ausgesetzt und litten zudem unter Munitionsknappheit und Personalmangel.

Weiter Probleme bei russischer Teilmobilmachung 

Bei der Teilmobilmachung kämpft das russische Militär nach Ansicht unabhängiger Experten weiterhin mit großen Problemen. Das Verteidigungsministerium habe "keine angemessenen Bedingungen geschaffen, um den Einsatz eingezogener Männer an der Front einzugliedern und zu verfolgen", schrieb die Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) mit Sitz in Washington am Donnerstagabend (Ortszeit).

Russische Militärreporter berichteten demnach, dass die Behörden mobilisierte Soldaten an verschiedene Einheiten entsendeten, ohne deren Einsatzorte ordnungsgemäß zu dokumentieren. Daher hätten sich Familien bei der Militärführung beschwert. Zudem würden Männer mit militärischer Erfahrung in Einheiten eingesetzt, die nicht ihren Fähigkeiten entsprächen. Nach Ansicht eines Reporters könnte dies dazu führen, dass Mütter und Ehefrauen Menschenrechtsgruppen gründeten, die „Russland von innen heraus zerreißen werden“.

Reservisten als "Kanonenfutter"

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij hat zudem Russland in seiner abendlichen Videoansprache vorgeworfen, mit seiner Teilmobilmachung eingezogene Reservisten als "Kanonenfutter" in die Ukraine zu schicken. Die russische Armee schicke derzeit "tausende Eingezogene an die Front", sagte Selenskij am Donnerstag.

"Die Verwendung dieser Menschen durch die russischen Generäle als Kanonenfutter erlaubt es ihnen, den Druck auf unsere Verteidiger erhöhen", fügte der ukrainische Staatschef hinzu.

Alle Inhalte anzeigen

Russland schießt Marschflugkörper ab

Die russischen Streitkräfte haben nach Angaben aus Kiew am Donnerstag Marschflugkörper auf Ziele im Westen und Süden der Ukraine abgeschossen. Es sei gelungen, fünf der anfliegenden Geschosse abzufangen, teilte das Kommando der ukrainischen Luftwaffe in Kiew mit. Demnach wurden die russischen Marschflugkörper vom Typ Kalibr vom Schwarzen Meer aus abgefeuert. Wegen der Angriffe herrschte in weiten Teilen der Ukraine zeitweise Luftalarm.

Drei der Raketen zielten auf ein Militärobjekt im Kreis Solotschiw in der Westukraine, wie die Gebietsverwaltung von Lwiw mitteilte. Zwei Raketen hätten getroffen und Sachschaden angerichtet. Eine Rakete sei abgeschossen worden, sagte Gouverneur Maksym Kosyzkij. Angaben zu dem angegriffenen Militärobjekt wurden nicht gemacht.

Alle Inhalte anzeigen

Gefangenenaustausch

Zuvor hatten die Ukraine und Russland den Austausch von jeweils 20 Gefangenen bekanntgegeben. Der Chef des ukrainischen Präsidialamts, Andrij Jermak, sprach im Onlinedienst Telegram von "Momenten der Freude". Auf ukrainischer Seite seien 14 Soldaten, vier Mitglieder der Landesverteidigung, ein Mitglied der Nationalgarde und ein Angehöriger der Marine freigekommen. Jermak erklärte, die Freigekommenen würden medizinisch untersucht.

Das russische Verteidigungsministerium bestätigte, dass 20 russische Soldaten von ukrainischem Gebiet zurückgekehrt seien. Sie erhielten alle die "erforderliche psychologische und medizinische Hilfe". Am Dienstag hatte die ukrainische Präsidentschaft erklärt, sie habe im Zuge eines Austauschs mit Russland die Freilassung von 32 ukrainischen Soldaten erreicht.

Alle Inhalte anzeigen

Hilfe bei Evakuierung 

Nach ihrem Rückzug in der Region Cherson Anfang Oktober war Russland nach britischen Angaben in der Ukraine bemüht, den neuen Frontverlauf zu festigen. Indes hat die russische Besatzungsverwaltung von Cherson um Hilfe bei der Evakuierung von Zivilisten angesucht. 

"Wir haben vorgeschlagen, dass alle Einwohner der Region Cherson, die sich vor (ukrainischen) Angriffen in Sicherheit bringen wollen, sich in andere (russische) Regionen begeben können", erklärte Verwaltungschef Wladimir Saldo am Donnerstag im Onlinedienst Telegram. "Nehmen Sie Ihre Kinder mit und gehen Sie", rief er die Einwohner auf.

Alle Inhalte anzeigen