Politik/Ausland

Waffenruhe: Erste Chance auf Frieden

Die Hafenstadt Mariupol unter schwerem Artilleriefeuer, heftige Gefechte um den Flughafen Donezk: Noch am Freitag schien der Krieg in der Ostukraine eher auf Eskalation als auf Entspannung zuzusteuern. Doch trotz der Gewalt gelang im weißrussischen Minsk am Freitag Nachmittag ein möglicherweise entscheidender Schritt in Richtung Frieden. Verhandler der ukrainischen Regierung und der pro-russischen Rebellen im Osten des Landes vereinbarten eine Waffenruhe, die am Abend in Kraft trat.

Vermittler zwischen den Parteien war die OSZE. Die in Wien ansässige Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa kündigte nach dem Erfolg an, ihre Beobachtermission in der Krisenregion auszuweiten. Diese Mission, die sowohl die Grenze zu Russland als auch die Lage in der Krisenregion selbst überwacht, war zuletzt wegen der Eskalation der Gewalt reduziert worden. Nun will man rasch von 100 auf 500 Beobachter im Einsatz ausweiten.

Lob für Putin

Am Freitagabend erteilte der ukrainische Staatspräsident Petro Poroschenko den offiziellen Befehl an die Armee, das Feuer einzustellen. Poroschenko lobte die jüngsten Bemühungen der EU, im Konflikt zu vermitteln und hob auch das Eingreifen von Russlands Präsident Putin hervor. Dieser hatte zuvor die Rebellen aufgefordert, Gespräche mit Kiew rasch zu beginnen. Auch ein Austausch von Gefangenen wurde vereinbart.

Vor allem die Rebellen hatten am Freitag versucht, vor einer Waffenruhe noch entscheidende Geländegewinne zu erzielen. Im Osten von Mariupol hatte man schwere Artillerie in Stellung gebracht und nahm das Stadtzentrum unter Beschuss. Rebellenvertreter sprachen sogar schon von einer Einnahme der Stadt, was aber von der Gegenseite umgehend dementiert wurde. Die Stadt an der Schwarzmeerküste spielt eine Schlüsselrolle für die Pläne der Rebellen, ihre Region von Kiew abzukoppeln. Deren Hafenanlagen sind für die Wirtschaftsbeziehungen der Region unverzichtbar.

Rechte Milizen

Doch auch die ukrainischen Streitkräfte hatten sich auf die Gefechte um die Hafenstadt eingehend vorbereitet. Und nicht nur die: Auch paramilitärische Gruppen aus dem Westen des Landes waren in Mariupol eingerückt. Unklar bleibt, wie sehr sich diese Milizen an die vereinbarte Waffenruhe halten würden.

Noch schwieriger aber droht der nächste Schritt zu werden: Die Verhandlungen über einen dauerhaften Waffenstillstand. Mit einem Sieben-Punkte-Plan hat Putin vor Tagen die Voraussetzungen dafür aus seiner Sicht definiert. Darunter aber findet sich auch die Forderung nach einem Rückzug der ukrainischen Armee aus den umkämpften Gebieten – zumindest so weit, dass von den neuen Positionen dicht besiedelte Gebiete, wie etwa die Rebellenhochburgen Donezk und Lugansk, nicht mehr unter Beschuss genommen werden können. Für viele Ukrainer aber käme dieser Rückzug um Dutzende Kilometer einer Kapitulation gleich.

Die EU-Bauern bleiben auf ihren Exporten sitzen und befürchten, dass die Preise weiter verfallen. Die russische Bevölkerung stöhnt über den gegenteiligen Effekt: Die Lebensmittelpreise sind im August um 10,3 Prozent gestiegen. Besonders stark haben sich Fleisch, Milch und Fisch verteuert – und das, obwohl die generelle Inflationsrate fast bei null lag. Der Teuerungsschub ist hausgemacht: Es war Präsident Wladimir Putin, der den Importstopp für EU-Waren verhängt hat.

Über die Wirkung der Sanktionen, die die EU im Juli beschlossen hat, um Putin zum Meinungsschwenk in Sachen Ukraine zu bewegen, sind die Meinungen geteilt. Diplomaten in Brüssel hatten sich insbesondere von den Finanzsanktionen kurzfristige Wirkung versprochen. Russische Großbanken, die mehrheitlich in Staatsbesitz sind, und ausgewählte Unternehmen dürfen im Westen keine Kredite mit Laufzeiten über 90 Tagen aufnehmen. Als Erfolg wertet das Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem: „Es war ein weiser Ansatz. Wir haben durchaus die Möglichkeit nachzulegen“, sagte er im EU-Parlament. Womöglich werden auch kürzere Kreditgeschäfte verboten.

Ein Indiz für die Wirkung: Rosneft musste kürzlich den Staat um eine Finanzierungshilfe bitten. Der Erdölriese wälzt einen Schuldenberg von gut 30 Milliarden Euro. Der Putin-Vertraute und Rosneft-Chef Igor Setschin dementierte im Nachrichtenmagazin Der Spiegel jedoch einen Zusammenhang. Auch westliche Ökonomen sind skeptisch, ob die Sanktionen zum Ziel führen: Für Putin seien sie eine willkommene Ausrede für die Wirtschaftsmisere. Viele russische Unternehmen sitzen auf gut gefüllten Geldpolstern – oder weichen auf andere Märkte aus: Man werde mehr Investoren in Asien und arabischen Staaten gewinnen, antwortete die Zentralbank in Moskau auf Gerüchte, wonach die EU den Kauf russischer Staatsanleihen verbieten könnte.