Erdogan proklamiert Wahlsieg, Opposition sieht Manipulation
Bei den Präsidentenwahlen in der Türkei fuhr Recep Tayyip Erdoğan am Sonntag einen Sieg ein. Nach Auszählung von fast 100 Prozent aller Stimmen lag er mit rund 52 Prozent vor seinem schärfsten Rivalen, Muharrem Ince, von der oppositionellen linksnationalen CHP. Dieser kam demnach auf gut 30 Prozent. Alle anderen Kandidaten blieben einstellig. Damit ist eine Stichwahl hinfällig.
Erdoğan kann zumindest für die kommenden fünf Jahre im Amt bleiben – und das noch dazu mit einer ungeheuren Machtfülle, die ihm die neue Verfassung zuschreibt. Diese, von ihm selbst lanciert und im Vorjahr durch ein Referendum bestätigt, sieht unter anderem vor, dass der Präsident zugleich auch Regierungschef ist. In einer ersten Stellungnahme meinte Erdoğan: „Unser Volk hat meiner Person den Auftrag der Präsidentschaft und der Regierung gegeben.“ Zuvor sprach er von einer „demokratischen Revolution“.
AKP sackt ab, Kurden im Parlament
Bei den Parlamentswahlen, die ebenfalls am Sonntag stattfanden, verlor Erdoğans AKP die absolute Mehrheit deutlich, sie kommt nur noch auf gut 40 Prozent – ein Minus von sieben Prozentpunkten im Vergleich zur Novemberwahl 2015. Gemeinsam mit dem nationalistischen Bündnispartner MHP ist die Mehrheit der Mandate dennoch sicher.
Die Kurdenpartei HDP hat laut Wahlbehörde den Sprung über die Zehn-Prozent-Hürde geschafft und ist im Parlament vertreten. Und das, obwohl ihre charismatische Leitfigur, Selahattin Demirtas, im Gefängnis sitzt. Die Wahlbeteiligung war mit 87 Prozent extrem hoch.
Als erster Erdoğan-Gratulant stellte sich MHP-Nationalistenchef Devlet Bahceli ein. Von diesem ist der Präsident künftig im Parlament abhängig, wenn er Gesetze verabschieden will. Deshalb ist es jetzt sehr fraglich, ob der seit 2016 geltende Ausnahmezustand nun wirklich bald aufgehoben wird, wie Erdoğan das versprochen hat, Bahcelis MHP will ihn beibehalten. In der Kurdenpolitik wird Bahceli den Präsidenten auf eine harte Linie festlegen. Der MHP-Chef sei die eigentlichen Wahlsieger, sagte der Moderator Oguz Haksever im türkischen Nachrichtensender NTV.
Disput um Ergebnisse
Stundenlang tobte am Abend im Fernsehen und im Internet ein Streit um die Ergebnisse. Erdoğans Hauptrivale Ince warf der Regierung schwere Manipulationen vor. Im kurdischen Südosten sollen kistenweise fertig ausgefüllte Stimmzettel aufgetaucht und Wahlbeobachter am Zutritt zu Wahllokalen gehindert worden sein. In Istanbul wurde der Generalsekretär der oppositionellen Rechtspartei Iyi Parti, Ümit Özdag, von AKP-Anhängern tätlich angegriffen, wie Cumhuriyet meldete. In der Osttürkei wurde ein Politiker dieser Partei bei einem Streit getötet. Aus Furcht vor Protesten ließ die AKP vor ihren Zentralen und der nationalen Wahlbehörde in Ankara Lastwagen auffahren, die die Gebäude schützen sollten. Aus Österreich beobachtete die Ex-Staatssekretärin Muna Druzda den Urnengang.
Hoher Zuspruch bei Austro-Türken
Nach Erkenntnissen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) war das eigentliche Problem des Urnenganges die Benachteiligung der Opposition während des Wahlkampfes, etwa durch eine einseitig regierungsnahe Berichterstattung in den Medien oder durch den Einsatz der öffentlichen Verwaltung für die Regierung.
Bei den wahlberechtigten Auslandstürken fiel der Wahlsieg Erdoğans noch deutlicher aus. Bei einem auch am Abend noch niedrigen Auszählungsgrad kam er auf rund 60 Prozent der Stimmen. In Deutschland, wo die meisten Auslandstürken beheimatet sind, auf eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Dieses Ergebnis wurde in Österreich sogar noch übertroffen: mehr als 72 Prozent.
Hauptthemen im abgelaufenen Wahlkampf waren die schlechte Wirtschaftslage und das neue türkische Präsidialsystem, das mit der Wahl in Kraft tritt. Die Außenpolitik stand weniger im Mittelpunkt. Recep Tayyip Erdoğan will laut Medienberichten sogar das türkische Europa-Ministerium abschaffen, das vor sieben Jahren eigens zur Unterstützung der EU-Kandidatur gegründet worden war.