Politik/Ausland

"Das Paris der Vielfalt wird stärker als die Fanatiker sein"

C’est la vie" (sinngemäß: So ist das Leben, und es geht weiter). Das sagt – lachend – ein bulliger junger Mann an der Theke einer Kneipe, nur wenige Straßenzüge von den Orten der Massaker entfernt. Die Gruppe der übrigen Frühaufsteher an diesem Samstag-Morgen nickt zustimmend.

Es ist kein Zynismus sondern eine nüchterne und ehrliche Reaktion. Der Terror hat Freitag in einer bisher noch nie dagewesenen Dimension im feierabendlichen Vergnügen des volkstümlichen Paris Einzug gehalten. Er hat im "Stade de France", dem Fußballstadion in der Vorstadt, angeklopft und hätte dort – fast – ein Gemetzel ausgelöst (die Kamikaze zündeten ihre Bomben vor den quasi leeren Eingängen). Er hat in den lebenslustigen, aufstrebenden, intellektuell rührigen, ethnisch und sozial durchmischten neuen Ausgeh-Vierteln von Paris, im Nordosten der Stadt, seine blutige Schneise gezogen – im Umkreis der Redaktionsräume des aufsässigen Magazins Charlie Hebdo, wo schon vor zehn Monaten Dschihadisten gewütet hatten.

"Das Leben geht weiter"

Aber für diejenigen, die den Tod nicht im Angesicht hatten, heißt es eben "La Vie continue" – mal aus Gleichgültigkeit, mal aus Trotz, mal auch aus der Vorahnung, dass weitere Anschläge folgen dürften: "Wir wissen doch, dass diese Typen nicht klein beigeben und weiter bomben werden," sagt ein Thekennachbar in der oben erwähnten Kneipe: "Jetzt gewinnt der, der die besseren Nerven hat". Seine Begleiterin, eine trotz der frühen Stunde leicht beschwipste Dame, fällt ihm ins Wort: "Mit einem kleinen Schlückchen Wein werden wir schon über die Runden kommen".

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Freilich, für andere Pariser, ein paar Gassen weiter, gilt nicht mehr: "La vie continue". Ein junger Mann sitzt auf einer Bank und schüttelt sich vor Weinkrämpfen. Flüsternd erklärt eine Anrainerin: "Es ist mein Nachbar, er kommt aus dem Leichenschauhaus. Seine Schwester ist unter den Toten." Je weiter man in der Gegend vordringt, desto öfter kommen einem Leute entgegen mit entrückten Blick und starren Bewegungen, Personen die man nicht anzusprechen wagt.

Umso gefragter sind gesprächsbereite Zeugen vor den Absperrungen, die die Polizei in der Nähe der Anschlagsorte errichtet hat. Eine franko-arabische Studentin hatte den Vorabend mit ihrer Mutter in einem Lokal gleich neben der Konzerthalle Bataclan (wo die Kamikaze ein Rockkonzert gestürmt hatten) verbracht. Sie erzählt: "Wir hörten die Explosionen, meine Mutter dachte, das wären Knallkörper. Aber ich wusste gleich Bescheid. Dann flüchteten immer mehr Konzertbesucher zu uns. Es gab Verletzte, die zitterten, und wir umwickelten sie mit unseren Jacken und Schals. Ein Mann suchte seine Frau, er hatte sie auf der Flucht aus den Augen verloren. Wir wollten ihm helfen und riefen mit ihm ihren Namen, aber niemand antwortete. Da brach er zusammen, weil er annahm, dass sie im Bataclan getötet worden war."

"Keep on Rocking"

Ein Bursche, der sich aus der Konzerthalle vor den Terroristen retten konnte, indem er von den Toiletten aus in einen Zwischenplafond stieg und sich dort drei Stunden lang versteckt hielt, macht das Victory-Zeichen und ruft erst in Französisch: "Je les enmerde" (Sinngemäß: Ich sch… auf die Terroristen). Dann in Englisch: "Keep on Rocking". Es mutet wie eine vorausgehende Antwort auf das Kommuniquee des "Islamischen Staats" an, das einige Stunden später durch die Medien geht: die Dschihadisten frohlocken über den Tod von "200 Kreuzrittern" (wie sie die erschossenen Pariser bezeichnen) und erklären, das Rockkonzert im Bataclan sei ein "Fest der Perversität" gewesen.

Knapp darauf greift die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo, ihrerseits den blutigen Fehdehandschuh der Dschihadisten auf. Die gebürtige Spanierin mit den glänzenden langen, schwarzen Haaren, eine Sozialistin, Feministin und eiserne Kämpferin gegen alle Diskriminierungen, bringt mit wenigen Worten das Ringen zwischen Paris und den Dschihadisten auf den Punkt: "Die Anschläge galten dem Paris, das wir lieben. Dem volkstümlichen und offenen Paris, das stark ist dank der Vielfalt seiner Abstammungen. Unser Modell des Zusammenlebens ist den Fanatikern unerträglich. Wir werden stärker sein als sie".

Die Worte von Hidalgo sind kaum verhallt, da kehren auch wieder Ängste ein. In der Schlange in einem Supermarkt unterhalten sich zwei Frauen. Eine sagt zur anderen: "Ich gehe jetzt nicht mehr an Orte, wo zu viele Ausländer sind." Die – ausländische – Kassiererin wirkt nicht gekränkt und nickt: "Ich bin Tschetschenin, ich hab das alle schon durchgemacht und bin nach Frankreich gekommen, um sowas nicht noch einmal zu erleben".

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