Politik/Ausland

Täuschen, tricksen, treten: So tickt Wladimir Putin

Wer ist Wladimir Putin, und wie tickt er? Diese Frage stellten sich Russland und der Rest der Welt bereits im Sommer 1999, als Präsident Boris Jelzin den damaligen Geheimdienstchef zum Ministerpräsidenten und damit zu seinem Nachfolger machte. Seit der Ukraine-Krise ist die Frage offener denn je.

Fassungslos verfolgen Gegner wie Sympathisanten, wie Putin jenes außenpolitische Kapital verbrennt, das er in mehr als einem Jahrzehnt mühevoll zusammengetragen hat, wie er den Rubel und die Aktien russischer Unternehmen auf Talfahrt schickt und damit sogar die Loyalität seiner Paladine, die er sich durch Förderung ihrer Geschäftsinteressen erkaufte, aufs Spiel setzt.

Sieht Gegenzüge voraus

Wenn ein Mann, der sich selbst nicht mehr unter Kontrolle hat, den Atomkoffer kontrolliert, warnte Russlands ewige Dissidentin, Walerija Nowodworskaja, kurz vor ihrem Tod im Sommer, stehe man "am Abgrund eines Dritten Weltkriegs".

Was hat Putin, der gewöhnlich rational denkt und Schachzüge seiner Gegner oft im Voraus erahnt und konterkariert, geritten? Was bezweckt er?

Nicht einmal die wenigen, durch Loyalität erprobten Freunde lasse Putin in sein Innerstes blicken, behaupten Kenner der Materie. Selbst die Nähe von Ehefrau Ludmila mied er zunehmend, wie diese klagte, als das Paar im Sommer 2013 die inzwischen vollzogene Scheidung bekannt gab.

Putins "Psychogramm" erstellen zu wollen, ist daher nicht nur eine undankbare Aufgabe, sondern auch müßig. Bestenfalls lassen sich aus seinen Auftritten und Äußerungen von Partnern, mit denen er auf gleicher Augenhöhe verhandelt, Momentaufnahmen erstellen. Legt man die allerdings übereinander, lassen sich daraus einige wenige Konstanten und viele Variable mit positivem wie negativem Vorzeichen herauslesen.

Willensstärke, Disziplin

Zu den Konstanten zählen bei Putin Willensstärke, Disziplin, Pflichtbewusstsein und auch Treue. Nie, so heißt es, habe er einen Freund verraten. Preußische Primärtugenden attestierte ihm auch Russland-Experte Alexander Rahr in seinem Buch "Ein Deutscher im Kreml".

Es erschien kurz nach Putins Machtantritt, als dieser auch im Westen noch als Hoffnungsträger galt. Der späte Putin indes zeigt eher ur-russische Tugenden: Machtbewusstsein und den fast zwanghaften Drang, um jeden Preis Stärke zu zeigen. Wie in der Ukraine-Krise.

Alle Inhalte anzeigen
Putin, so scheint es, glaubt, sich und dem Rest der Welt immer aufs Neue beweisen müssen, dass er ihn tatsächlich geschafft hat: Den kometenhaften Aufstieg eines in ärmlichen Verhältnissen in einem Petersburger Proletenviertel geborenen, schmächtigen Jungen zu einem der mächtigsten und wie es heißt, auch reichsten Männer weltweit. Denn als 1989 die Mauer in Berlin fiel – für den strategisch denkenden Putin, der damals KGB-Resident in Dresden war, sicheres Indiz, dass es alsbald auch daheim mit Sowjetmacht und Kommunismus vorbei sein würde –, sah er sich bereits für den Rest des Lebens als Taxifahrer jobben. Doch schnell überwand er die Schreckstarre, frischte alte Kontakte in St. Petersburg auf, wurde dort Vizebürgermeister, machte dann in Moskau im Geheimdienst Karriere und wurde dessen Chef.

Für die Blitzkarriere kamen ihm offenbar auch Techniken zupass, mit denen der kleine Wowa – so kürzen die Russen den Namen Wladimir für Kinder ab – einst den Überlebenskampf gegen Ältere und Stärkere auf dem Petersburger Hinterhof gewann: täuschen, tricksen, treten.

Alle Inhalte anzeigen
Russland, tönte Putin zunächst, habe mit den "kleinen grünen Männchen" absolut nichts zu tun. Gemeint waren Paramilitärs ohne Rangabzeichen, die vor dem Referendum über den Russland-Beitritt der Krim in Scharen auf der Schwarzmeer-Halbinsel auftauchten. Es waren Geheimdienstmitarbeiter aus Moskau, wie Putin selbst ein paar Wochen später eher beiläufig fallen ließ.

Eines hat er, wie die Ukraine-Krise zeigt, im Petersburger Proleten-Viertel mit Sicherheit nicht gelernt: Kompromisse. Zugeständnisse sind für die meisten Russen nach wie vor ein Synonym für Schwäche, und die verzeiht die Nation ihrem Herrscher nie.

Hartnäckig halten sich auch in Russland Gerüchte, Putin solle zu den reichsten Männern der Welt gehören, sein Privatvermögen sich auf mindestens 40 Mrd. US-Dollar belaufen. So jedenfalls stand es 2012 in einem Bericht, der als mehr oder minder seriös gilt. Die Autoren sind Regimekritiker, einer davon ist Boris Nemzow, der als Ex-Vizepremier weiß, wovon er spricht. Blogger dichten Putin sogar den Besitz von 70 Mrd. an, können aber nicht recht erklären, wie sie auf diese Summe kommen.
Wie auch aus dem Nemzow-Report hervorgeht, verfügt der Präsident über 20 luxuriöse Anwesen, verstreut im ganzen Land: historische Schlösser, Landsitze und Stadtvillen in Moskau sowie „Hütten“ in Skiorten. Dazu kommen 43 Flugzeuge, 15 Hubschrauber, 4 Yachten, die, mit Luxuskarossen vollgepfropfte „Garage Nummer eins“ – und ein Lada-Pkw aus der Sowjetära. Nur ihn, zwei Wohnungen und ein Wochenendgrundstück hat Putin auch in seiner Einkommenserklärung für 2013 erwähnt. Denn der Luxus, der ihn umgibt, gehört dem russischen Staat und fällt an diesen zurück, scheidet ein Präsident aus dem Amt.

Ein Amt, das nicht besonders gut bezahlt wird. 2013 verdiente Putin gerade 75.000 Euro und genehmigte sich daher im April eine Erhöhung um das 2,6-Fache. Der Präsident, so dessen Sprecher, habe jahrelang keinen Ausgleich für versäumten Urlaub erhalten. Gegner ätzten, das neue Gehalt habe sich Putin wegen des Blitzsieges auf der Krim verordnet.

Nach einem Bericht des Guardian hält Putin 37 Prozent an einem Ölkonzern, dessen Marktwert immerhin auf 20 Milliarden Dollar geschätzt wird. Auch an Gazprom soll er mit 4,5 Prozent beteiligt sein. Die Rede ist zudem von einer mindestens 75-Prozent-Beteiligung am Schweizer Ölhändler Gunvor. Über Strohmänner– denn der Name des Präsidenten taucht in keinem Register auf. Die Erlöse soll Putin auf geheimen Konten in Liechtenstein und in der Schweiz geparkt haben.

Reich, fit und frisch geschieden ist Putin Objekt der Begierde vieler Russinnen: Der ideale Ehemann oder Schwiegersohn. Doch der Landesvater winkt ab: Erst müsse er seine Exgattin neu unter die Haube bringen. Dann könne er an sich denken.

Wladimir Putin kommt man besser nicht in die Quere, selbst bei Verwandten oder Freunden des russischen Präsidenten ist Vorsicht geboten. Diese Erfahrung musste auch Matvey Urin machen. Der junge Mann und ehemalige Banker sitzt seit drei Jahren in einem russischen Gefängnis, im vergangenen Herbst wurde seine Haftstrafe gleich noch einmal um siebeneinhalb Jahre verlängert.

Alle Inhalte anzeigen
Sein Vergehen: An einem Novembertag des Jahres 2010 fuhr in Zentrum Moskaus ein BMW auf einen Mercedes von Urin auf. Daraufhin stürmten mehrere Leibwächter des Bankers aus dem leicht beschädigten Auto, zerrten den Fahrer aus dem BMW, prügelten ihn windelweich und zertrümmerten mit einem Baseballschläger die Windschutzscheibe. Was im Normalfall irgendwo in den Polizeiakten verschwunden wäre, erwies sich aber als Urins Pech: Der Verprügelte, der damals für die Gazprom tätig war, erwies sich als niemand anderer als der niederländische Lebensgefährte von Putins ältester Tochter Maria.

Noch in der Nacht des Unfalls wurde Matvey Urin von Sonderpolizisten aus dem Bett gezerrt und verhaftet. Alle Leibwächter wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, Urin selbst verlor seine Banklizenzen und wurde wegen Betrugs, Korruption und Mitgliedschaft beim Organisierten Verbrechen für die nächsten Jahre hinter Gitter verfrachtet.

Unter falschem Namen Der Kreml hat das Ereignis nur halbherzig dementiert, seine beiden Töchter Maria (29) und Ekaterina (27) hat Putin stets sorgsamst von der Öffentlichkeit abgeschirmt. Von beiden gibt es keine Fotos, Schule und Universität sollen sie unter falschen Namen absolviert haben. Ekaterina soll unerkannt in Südkorea leben.

Im Sommer aber ging der Name Maria Putins durch die Medien, als ein niederländischer Bürgermeister hetzte: Man solle die junge Russin ausweisen. Seit mehreren Jahren lebt Maria Putin mit ihrem holländischen Lebensgefährten in einem noblen Penthouse in der Nähe von Den Haag. Nach dem Abschuss des malaysischen Passagierflugzeuges durch Rebellen in der Ostukraine, in dem auch 193 Niederländer ums Leben gekommen waren, richtete sich die ganze Wut auf den russischen Präsidenten – und schließlich sogar gegen dessen Tochter.

Alle Inhalte anzeigen