Politik/Ausland

Obamas riskanter Schachzug

Sein „Ja, aber...“ zu einem US-Militäreinsatz gegen das syrische Regime sei eines „der riskantesten Spiele der gesamten Präsidentschaft“, auf das sich Barack Obama einlasse, schreibt die New York Times. Wie der KURIER berichtete, zeigte sich der US-Staatschef Samstagabend entschlossen, gegen Machthaber Assad vorzugehen, den er für den Giftgasangriff vom 21. August verantwortlich macht: „Ich bin bereit, den Befehl zu geben.“ Zugleich aber will er dazu die Zustimmung des US-Kongresses. Ob er die bekommt, ist aber fraglich. Seine engsten Berater hatten massive Zweifel an dem Schachzug.

Denn selbst unter Obamas demokratischen Parteigenossen ist ein Waffengang unpopulär. Und die Republikaner, die das Repräsentantenhaus dominieren, stehen oft in Fundamental-Opposition zum Präsidenten. Wortführer von ihnen, wie Ex-Präsidentschaftskandidat John McCain, hatten zwar schon zuvor auf Militärschläge gegen das syrische Regime unter Machthaber Bashar al-Assad gedrängt, doch „ich zögere, ihm (Obama) eine Lizenz zum Krieg zu geben, weil ich wenig Vertrauen habe, dass er weiß, was er tut“, sagte etwa Tim Griffin, Republikaner aus Arkansas. Anders: Die Opposition wirft dem Chef des Weißen Hauses vor, in der Syrien-Krise keine Gesamtstrategie zu haben.

Zwei Szenarien sind möglich: Die Mandatare verweigern dem Präsidenten die Gefolgschaft. Dann müssen sie sich freilich den Vorwurf gefallen lassen, sie würden „die schlimmste Giftgas-Attacke des 21. Jahrhunderts“ (Obama) ungeahndet lassen – am Sonntag sagte Außenminister John Kerry, man habe in Haar- und Blutproben das Nervengas Sarin nachweisen können. Für den Präsidenten wäre eine Abstimmungsniederlage eine herbe Schlappe, er wäre politisch ebenso geschwächt wie der britische Premier David Cameron, den die Abgeordneten in der Syrien-Frage in der Vorwoche im Regen stehen ließen. Obama könnte zwar dennoch den Angriff anordnen, würde das aber wohl nicht tun. Stellte sich der US-Kongress aber hinter den „Commander in Chief“, würde Obama mit diesem Sieg an der Heimatfront gestärkt in den Krieg ziehen.

Zeit erkauft

Auf jeden Fall hat sich der US-Staatschef mit seiner Entscheidung vom Wochenende Zeit erkauft, die er und andere nützen können. Obama wird versuchen, die Kongress-Abgeordneten und die skeptische amerikanische Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass die von ihm geplanten befristeten Luftschläge die richte Antwort auf das Massaker seien. Er wird auch international die Werbetrommel rühren, um nach dem Ausfall der Briten die „Koalition der Willigen“ zu vergrößern. Und für die internationale Diplomatie hat sich überraschend ein Zeitfenster aufgetan.

Die syrische Opposition ist freilich enttäuscht von der Verzögerungstaktik Obamas. Sie gebe dem Regime die Möglichkeit, Soldaten und Waffensysteme in Sicherheit zu bringen. Bereits in den vergangenen Tagen seien Artilleriegeschoße, Raketen und Truppen in Wohngebiete bzw. auf Uni-Areale verlegt worden. Die Machthaber in Damaskus feierten hingegen den aus ihrer Sicht „historischen Rückzieher“ des US-Präsidenten.

Fasten für den Frieden

Indes hat Papst Franziskus für kommenden Samstag einen weltweiten Fastentag für den Frieden in Syrien ausgerufen. Zudem wird zwischen 19 und 24 Uhr auf dem Petersplatz für den Frieden gebetet.

Der Außenminister Deutschlands, Guido Westerwelle, hat den vorläufigen Aufschub eines US-Militärschlages gegen Syrien begrüßt. „Die gewonnene Zeit muss genutzt werden, um im UN-Sicherheitsrat eine gemeinsame Haltung der Weltgemeinschaft zu erreichen.“

In Israel nahm zwar kein Regierungsvertreter offiziell Stellung zu Obamas Schachzug, doch hinter vorgehaltener Hand herrschte der Eindruck vor, der US-Präsident habe „kalte Füße“ bekommen und sei eben ein schwacher Staatschef. Andere stellten die Grundsatz-Entscheidung für einen Angriff als positiv dar, „alles andere sei „Beiwerk“.

In Russland wiederum, wo man sich stets auf die Seite des syrischen Machthabers Assad schlägt und eine Militär-Intervention strikt ablehnt, zeigten sich einige Kommentatoren höchst zufrieden mit der neuen Atempause. Zugleich sahen sie sich im Kurs bestätigt, der auf eine politische Lösung des Konflikts hinausläuft.

Russland hat die USA allerdings gewarnt, dass ein möglicher Militärschlag gegen das syrische Regime die neue Friedenskonferenz in Genf gefährde. Die Chance auf das seit Monaten geplante Treffen rücke in diesem Falle in weite Ferne und sei möglicherweise für immer vorbei, sagte Außenminister Sergej Lawrow am Montag der Agentur Interfax zufolge in Moskau. Russland ist ein enger Partner der syrischen Führung.

Für Frankreich ist die neue Situation zwiespältig. Einerseits ist Obamas prinzipielles Ja zu einem Syrien-Einsatz auf der Linie von Präsident Hollande, der eine Intervention ebenso befürwortet. Andererseits bringt die amerikanische Einbindung des Parlaments in die endgültige Entscheidung, den Chef im Elysee-Palast unter Druck. Die Opposition in Frankreich fordert nun ebenso ein Votum in der Nationalversammlung. Diese wird die Syrien-Causa zwar am Mittwoch diskutieren, eine Abstimmung ist aber nicht vorgesehen.

Die USA haben offenbar Beweise, dass im Bürgerkriegsland Syrien der Nervenkampfstoff Sarin eingesetzt wurde.

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Die USA hätten entsprechende Proben erhalten und diese positiv auf das Giftgas getestet, erklärte US-Außenminister John Kerry am Sonntag in einem Interview mit dem NachrichtensenderNBC: "Haar- und Blutproben sind positiv auf Spuren des Nervengases Sarin getestet worden." Die Proben seien nach dem Anschlag am 21. August im Osten der Hauptstadt Damaskus gesammelt worden, die USA hätten die Informationen in den vergangenen 24 Stunden erhalten, so Kerry.

Die USA haben schon vor einigen Tagen erklärt, Beweise für einen Giftgaseinsatz des syrischen Regimes am 21. August zu besitzen. Unklar war bisher jedoch, welcher Kampfstoff eingesetzt worden ist.

Paris wird Dokumente zu Chemiewaffen vorlegen

Die französische Regierung werde als geheim eingestufte Dokumente zum syrischen Chemiewaffen-Arsenal demnächst offenlegen, hieß es am Sonntag aus Paris. Die Zeitung Journal du Dimanche hatte zuvor unter Berufung auf aktuelle französische Geheimdiensterkenntnisse berichtet, dass die syrischen Regierungstruppen über "mehrere hundert Tonnen Senfgas" und "Saringas" verfügten. Insgesamt habe Damaskus mehr als 1000 Tonnen Chemiewaffen in seinen Lagern. Laut französischen Regierungskreisen sind diese Angaben aus einer Geheimdienst-Mitteilung "zutreffend".

Warten auf UNO-Bericht

Am Samstag sind auch UNO-Inspektoren aus Syrien zurückgekehrt, die feststellen sollten, ob Chemiewaffen eingesetzt wurden. Bis zu einem Ergebnis könnte es jedoch bis zu drei Wochen dauern.