Dieser Mann will Europa zerstören
Von Thomas Trescher
Noch weiß man nichts Genaues. Aber die Ankündigung alleine hat gereicht, um Schockwellen durch Europa zu senden und Durchhalteparolen von hoher Stelle zu provozieren: „Wir müssen jetzt kämpfen, mit guten Argumenten, selbstbewusst und wahrhaftig“, sagte etwa der Europa-Staatsminister im deutschen Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD), der Tageszeitung Welt.
Der Grund seiner Besorgnis heißt Steve Bannon, irgendwas zwischen Publizist, Politikberater und (ehemaligem) Teufel auf Donald Trumps rechter Schulter. Der 64-Jährige will bei den kommenden EU-Wahlen im Frühjahr 2019 mitmischen und den rechten Parteien von extrem bis populistisch unter die Arme greifen, berichtet das US-Magazin Daily Beast. Erklärtes Ziel: Ein Drittel der Abgeordneten im EU-Parlament.
"Unsere Werte sind stärker als sein Hass"
Europa dürfe „keine Angst haben vor den nationalistischen Kampagnen, mit denen Herr Bannon meint, Europa in die Knie zwingen zu können. Unsere Werte sind stärker als sein Hass und seine Lügen“, sagte Europaminister Roth. Starke Worte dafür, dass Bannon bislang lediglich angekündigt hat, eine Organisation mit dem Namen „The Movement“ ins Leben rufen zu wollen und im November Teilzeit nach Brüssel ziehen zu wollen. Mit dem expliziten Ziel, Gegenspieler des liberalen Milliardärs George Soros und seiner „Open Society Foundation“ zu sein. Rund zehn Mitarbeiter soll Bannons „Movement“ künftig haben, wer sie finanzieren soll, ist noch nicht bekannt.
Wer ist also der Mann, vor dem nun alle zittern? Aufschluss darüber gibt nicht zuletzt ein virales Youtube-Video, dessen zentraler Satz zu Bannons erklärtem Lebensmotto wurde: „Honey Badger Don’t Give A Shit“. Darin zu sehen ist ein Honigdachs, der sich auf Futtersuche nimmt, was er möchte, ohne dabei Rücksicht auf irgendetwas anderes zu nehmen; der von dutzenden Bienen gestochen und von einer Schlange gebissen wird, ohne dass es ihn stören würde. Steve Bannon will wie der Honigdachs sein. Und nach den USA will er sich nun Europa krallen.
Wer Bannon sieht, dem fällt zuallererst auf, dass es ihn nicht groß kümmert, wie er aussieht: Unrasiert und schlecht gekleidet zu sein ist zu seinem Markenzeichen geworden. Donald Trump soll einmal über ihn gesagt haben, er wirke obdachlos und brauche dringend eine Dusche. Trotzdem wählte er ihn im August 2017 aus, seine Präsidentschafts-Kampagne zu leiten. Es war eine Personalentscheidung, die schockte und irritierte.
Bannon war damals einer breiteren Öffentlichkeit kaum bekannt und leitete das rechte Portal breitbart.com. Eine Auswahl von Headlines unter seiner Ägide: „Hisst sie hoch und stolz: Die Konföderierten-Flagge ist ein glorreiches Kulturgut“, „Die Pille macht Frauen unattraktiv und verrückt“, „Bill Kristol: Republikanischer Spielverderber, abtrünniger Jude“, „Homosexuellenrechte haben uns dümmer gemacht“ oder „Wäre es Ihnen lieber, dass Ihr Kind Feminismus oder Krebs hat?“. Bannon sei „der gefährlichste politische Agent Amerikas“ war die Conclusio eines Porträts beim Businessmagazin Bloomberg. Breitbart war eines der ersten Medien, die die Macht der sozialen Medien zu kanalisieren verstand: Die Interaktionsraten auf Facebook waren laut spiegel.de in der US-Wahlnacht höher als jene von CNN oder der New York Times.
Die Wirkmacht von Internet-Trollen lernte er bei einem seiner absurderen Jobs vor seiner publizistischen wie politischen Karriere bei Breitbart und Trump kennen: Bannon war nicht nur Wall-Street-Banker und Hollywood-Produzent (wo er unter anderem „Seinfeld“ produzierte und Klienten wie Leonardo DiCaprio, Ice Cube und Limp Bizkit vertrat), sondern machte sein Geld auch mit dem Multiplayer-Spiel „World of Warcraft“ (WoW). Jene Firma, bei der er beteiligt war, schürfte virtuelles Gold bei WoW und verkaufte virtuelle Waffen und Rüstungen für echtes Geld – die Firma soll zu ihren besten Zeiten eine Milliarde Dollar wert gewesen sein. Bis WoW-Betreiber Blizzard das Geschäft untersagte.
Aber Bannon erkannte das Potential in den rund zehn Millionen WoW-Spielern, oft vom Leben enttäuschte, wütende junge Männer, die sich virtuelle Welten flüchteten und in Internetforen wie 4chan oder Reddit herumtrieben. Sie wurden das Zielpublikum für Breitbart genauso wie eine wichtige Basis der Trump-Wählerschaft – und Multiplikatoren ihrer Ideen im Internet.
"Wenn es ein Feuer gibt, steht er mit Zündhölzern daneben"
Bannon war, als er Kampagnenmanager wurde, einer der wenigen, die tatsächlich glaubten, dass Donald Trump realistische Chancen hat, US-Präsident zu werden (Trump selbst soll in der Wahlnacht schockiert gewesen sein, als ihm dämmerte, dass er tatsächlich gewonnen hat). Seine Strategie war nicht zuletzt, den Ruf von Trumps ohnehin wenig beliebter Gegenkandidatin Hillary Clinton zu schädigen: „Mein Ziel ist es, dass man sich übergibt, wenn man ihren Namen hört“, soll er gesagt haben.
Während es die weit verbreitete Meinung im Wahlkampf war, dass Trump strukturierter und moderater werden müsse, um Präsident zu werden, setzte Bannon auf Chaos und Radikalisierung. Er wollte nicht, dass Trump sich mit dem Establishment anfreundet, sondern es mit unbändiger Lust an der Zerstörung stürzt. „Immer wenn es irgendwo eine Explosion oder ein Feuer gibt, steht Steve wahrscheinlich mit Zündhölzern irgendwo in der Nähe“, hat ein Breitbart-Mitarbeiter über ihn gesagt – bewundernd wohlgemerkt.
Diese Bewunderung teilte bald auch Donald Trump; und Bannon zog nach dem Wahlsieg als Chefberater ins Weiße Haus ein. Hinter allen radikaleren Ideen des Präsidenten Trump, angefangen vom Einreisestopp für Muslime bis hin zu der Aussage, dass es beim Naziaufmarsch in Charlotteville und den Gegendemos „gute Menschen auf beiden Seiten“ gab, wurde Bannon vermutet – sogar einen Sitz im Nationalen Sicherheitsrat bekam er zunächst. Aber das Verhältnis zwischen Trump und Bannon verschlechterte sich schnell, Gerüchten zufolge hauptsächlich deshalb, weil Bannon Trumps Wahlsieg gerne für sich beanspruchte, was dem Ego des Präsidenten nicht schmeichelte.
Als er im August des Vorjahres gefeuert wurde, soll ein wichtiger Grund der Titel eines Buches gewesen sein, das ein US-Journalist schrieb: „Devil’s Bargain: Steve Bannon, Donald Trump, And The Storming Of The Presidency“. Also: Dass Bannon vor Trump genannt wurde. Er kehrte zurück zu Breitbart, wo er Anfang dieses Jahres gefeuert wurde, weil er in Michael Wolffs Trump-Buch „Fire and Fury“ ein Treffen zwischen Donald Trump junior und einer russischen Anwältin als „Hochverrat“ bezeichnet hatte. Alles, was er aufgebaut hatte, hatte er wieder verloren. Der Honey Badger war am Boden, nachdem es fast sein ganzes Leben lang nur bergauf ging.
Islam als Feindbild
Stephen Bannon wurde 1953 als drittes von fünf Kindern einer irisch-katholischen Arbeiterfamilie im US-Bundesstaat Virginia geboren. Seine Eltern waren Kennedy-Anhänger, Bannon selbst identifizierte sich stark mit seiner Arbeiterherkunft. Nach dem College ging er zur Navy, wo er auf einem Zerstörer im West-Pazifik und im Golf von Oman diente. Dort entwickelte er sein pro-militärisches republikanisches Weltbild und begann – bereits in den 80ern, als Ronald Reagan noch die Sowjetunion als „evil empire“ bezeichnet – den Islam als größten Feind des Westens zu sehen.
Ein Weltbild, das sich über die Jahre verfestigte. Bannon fürchtet den Kollaps des Westens durch muslimische Einwanderung und ist der Meinung, dass „wir in einem regelrechten Krieg gegen dschihadistischen islamischen Faschismus“ sind. Es sei ein Krieg, der viel schneller voranschreite als die Regierungen mitbekommen würden. Es ist eine Ansicht, die viel eher nach Europa passt denn in die USA, wo die meisten Zuwanderer nicht muslimischen Glaubens sind. Weshalb es irgendwie Sinn macht, dass sich Bannon nun Europa zuwendet.
Auch das nicht zum ersten Mal, Breitbarts britischer Ableger trommelte bereits 2016 lautstark für die letztlich erfolgreiche Brexit-Kampagne. „Ich bin mir nicht sicher, ob wir ohne Breitbart London einen Brexit gehabt hätten“, sagte etwa Nigel Farage, einer der bekanntesten Brexit-Fürsprecher – der Bannon ein Ölgemälde schenkte, auf dem der Beschenkte als Napoleon verkleidet zu sehen war.
Trotzdem konzentrierte sich Bannon auf die USA, wo er ebenfalls auf einen Anti-Einwanderungskurs setzte – zunächst gegen den republikanischen Mainstream. Als der Republikaner Mitt Romney den Präsidentschaftswahlkampf 2012 gegen Barack Obama verlor, war eine weithin akzeptierte Lehre der Republikaner, einwanderungsfreundlicher zu werden, um mehr Latino-Stimmen zu bekommen. Donald Trump sagte damals, Romney hätte „diese verrückte Idee der Selbstdeportation“ gehabt. Es habe „so schlimm geklungen wie es war, und er hat alle Stimmen der Latinos verloren.“ Als er seine Kandidatur verkündete, hatte Trump längst umgedacht: Mexikaner würden Drogen ins Land schmuggeln und seien Vergewaltiger, sagte er bekanntlich bei der Bekanntgabe seiner Präsidentschaftskandidatur.
Trumps Berater Sam Nunberg erzählte, dass Trumps Twitteraccount bei seiner Suche nach Themen für seine Präsidentschaftskandidatur als Umfragetool diente: Je mehr Interaktionen und Retweets für einen Tweet, desto wichtiger das Thema. Und je schärfer Trumps Tweets zu Zuwanderung waren, desto höher die Interaktionen – Trump entdeckte dasselbe Klientel wie Steve Bannon.
Und ob Österreichs Vize-Kanzler Heinz-Christian Strache, Alice Weidel von der AfD oder Italiens Innenminister Salvinis: Sie alle wissen ebenfalls um die Macht der sozialen Medien und nutzen sie zu ihren Gunsten – und um Stimmung gegen Migranten zu machen.
Sie wären die natürlichen Verbündeten Bannons bei seinem Versuch, Europa politisch in die Luft zu jagen – neben der französischen Rassemblement National (Ex-Front-National) oder Viktor Orban in Ungarn. Skandinavische Rechtsparteien wie die Schweden-Demokraten oder die Wahren Finnen hat Bannon selbst ins Spiel gebracht. Auch FPÖ-Generalsekretär und EU-Abgeordneter Harald Vilimsky schließt eine „punktuelle Zusammenarbeit“ mit Bannon nicht aus – auch wenn er aussagt, keine Beziehung zu Bannon zu haben. Jedenfalls ist eine FPÖ-Delegation gleich nach der Wahl zum Team rund um Donald Trump gepilgert.
Die Europäische Union ist in Bannons Weltbild ein natürlicher Feind; er ist ein Anhänger eines radikalen Subsidaritätsprinzips und glaubt daran, dass möglichst kleine Verwaltungseinheiten möglichst viel Macht bekommen – dass also der Bürgermeister von Purkersdorf viel eher weiß, was seine Einwohner wollen als Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Dieses Subsidaritätsprinzip wurde auch von FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer oft und gerne bemüht.
Vereint in der EU-Skepsis
Bannon erzählt dem US-Magazin The Daily Beast, das zuerst über seine Europa-Pläne berichtete, er sei schockiert gewesen, wie wenig die nationalen Parteien Europas zusammenarbeiten. Obwohl sie doch eigentlich alle dasselbe Ziel hätten: Mehr Nationalstaat, weniger EU. Vereint im Interesse, die Europäische Union zu schwächen, auch wenn sie sonst teilweise sehr divergierende Interessen haben. Als führende Köpfe einer solchen multinationalen nationalistischen Bewegung sieht er Marine Le Pen und seinen Vertrauten Nigel Farage.
Aktuell gibt es zwei rechte und EU-kritische Fraktionen im EU-Parlament: „Europa der Nationen und der Freiheit“ mit 35 Abgeordneten, neben jenen der FPÖ unter anderem auch jene des belgischen Vlaams Belang und des ehemaligen französischen Front National. Und „Europa der Freiheit und der direkten Demokratie“, dem 43 Mitglieder von unter anderem der AfD und der britischen UKIP unter dem der Führung von Nigel Farage angehören. Insgesamt hat das EU-Parlament 751 Mitglieder.
Von dorthin zu einem Drittel der Abgeordneten ist es ein weiter Weg, auch wenn davon auszugehen ist, dass die Rechtspopulisten bei den Wahlen im kommenden Frühjahr zulegen werden. Aber ob das Bannons Verdienst sein wird oder ob er einfach nach Europa geht, weil er in den USA gescheitert ist, werden erst die kommenden Monate zeigen.