Politik/Ausland

Der hochenergetische Experte hinter dem Iran-Atomdeal

Wenn mit dem Iran-Atomdeal befasste Politiker Reaktoren mit Zentrifugen verwechseln, dann hat Stephan Klement schwer zu schlucken. Der Österreicher, der das rund 200 Seiten lange internationale Abkommen auf Punkt und Beistrich kennt, hat auch die größten Teile des Textes mitgeschrieben. Doch mehr als Tritte so mancher Minister in atomphysikalische Fettnäpfchen schmerzt den gebürtigen Grazer die Tatsache, dass der Iran-Deal derzeit nur noch am seidenen Faden hängt. Die USA haben das Abkommen verlassen – und drohen mit Sanktionen all jenen, die sich weiter daran halten.

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Seit 14 Jahren war Klement, Sonderberater im Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) – quasi das Außenministerium der EU –  nahezu immer dabei: Bei den schwierigen Verhandlungen mit Teheran, den spannungsgeladenen Konferenzen, den nächtlichen Krisensitzungen, den Streitgesprächen und schließlich beim großen Durchbruch.

Und nun das – drohender Kollaps des 2015 noch weltweit gefeierten Abkommens zwischen den EU-Staaten Frankreich, Deutschland und Großbritannien sowie den USA, China, Russland und dem Iran. Es hätte das Regime in Teheran auf viele Jahre hinaus von atomarer Aufrüstung abhalten sollen. "Es ist ein sehr gutes Abkommen", beharrt Klement, "weil es genau festlegt, wie die Internationale Atomenergieorganisation die Vorgänge im Iran kontrolliert."

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„Ich wüsste nicht, wie man angesichts dieser Situation ein Optimist sein könnte“, sagt Klement und erwartet nicht nur für den Iran schwierigen Zeiten. Auf massiven Druck der USA hin ziehen sich die meisten europäischen Firmen zurück – und bringen so das Abkommen ins Wanken.

Für den 53-jährigen Österreicher wird die Arbeit damit dennoch nicht weniger. Und wer in Europa für den Erhalt des Deals kämpft, der kommt am absoluten Spezialisten Klement ohnehin nicht vorbei: Physik hat er studiert – ebenso wie Jus. Und diese außergewöhnliche Kombination war es, die dem damals jungen Österreicher sofort den Eintritt zur Internationalen Atomenergieorganisation ( IAEO) und später zu den EU-Behörden ebnete.

Von Anfang an sein Spezialgebiet: Atomare Abrüstung und ihre vertragliche Kontrolle. „Bei den Physikern war ich nie ganz zu Hause“, schildert der Sohn einer Grazer Ärzte- und Juristenfamilie, „und bei den Juristen auch nicht. Aber ich habe aus beiden Bereichen das Beste herausgeholt.“

Geradezu wie atombetrieben wirkt er selber, der 53-jährige Österreicher, den es vor lauter Stress kaum auf seinem Sitz hält. Ständig  kommen neue Botschaften auf seinem Mobiltelefon herein. Ein uralt anmutendes Modell, das man mit einem Atomphysiker nie in Verbindung bringen würde. Aber moderner Schnick-Schnack ist Klements Sache ohnehin nicht. Schicke Anzüge und erhöhter Aufwand für beamtische Etikette sind ihm ebenso herzlich egal wie offizielle Ehrungen: Das Große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich hat er vor zwei Jahren erhalten. Seither liegt der Orden in „irgendeiner Schreibtischlade“, grinst er. „Wenn ich auf einen Ball gehen würde, müsste ich ihn tragen. Aber ich gehe ja nicht auf Bälle.“

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Hastig trinkt der vielgefragte Spitzenbeamte seinen Kaffee aus, ehe er wieder in Richtung seines Büros in Brüssel davoneilt. „Es ist ein 24 Stunden, Sieben-Tage-die-Woche-Job“, sagt Klement und wirkt kein bisschen unglücklich dabei.

Drei, vier Stunden Schlaf reichen

„Mein wildester Moment“, erinnert er sich, „war kurz vor dem Jahreswechsel 2013. Da haben wir am 30.Dezember um acht Uhr früh in Genf zu arbeiten begonnen und  bis am nächsten Tag um sechs Uhr früh durchverhandelt. Damals habe ich gelernt: Ich kann durchhalten, so lange es eben dauert. Und ich brauche wenig Schlaf.“ Drei, vier Stunden pro Nacht reichen dem Unermüdlichen, dessen gewaltiges Arbeitspensum weniger robuste Gemüter bald ins Burnout treiben würde.

„Es gibt schon Angenehmeres als um vier Uhr Früh in einem Hotelzimmer zu hocken und zu verhandeln“, gibt Klement lachend zu. Nämlich: Sich in Griechenland entspannen, an einem bestimmten kleinen Ort, an den der Vater zweier Töchter bei jeder Gelegenheit hinreist. Griechisch spricht er längst. Kein großer Aufwand für den Hochbegabten, der sich immer freut, wenn er  auf Politiker trifft, die auch Physiker sind. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel etwa. Oder der frühere Hohe Vertreter für die EU-Außenpolitik (und NATO-Chef), Javier Solana. Oder Ex-US-Präsident Obamas Energie-Minister Ernest Moniz. Das erleichtere alles, meint Stephan Klement, „mit Leuten zu reden, die sich bei technischen Angelegenheiten auskennen“.

Die Psychologie des Verhandelns

Wie man mit dem Iran verhandelt, das weiß in Europa wohl kaum jemand so gut wie er. „Taktisch genial, aber strategisch katastrophal“ ginge Teheran vor, schildert Klement. Was so viel bedeutet wie: Oft gewinne Teheran im Kleinen, während das große Ganze verloren würde. Und überhaupt, „die Psychologie des Verhandelns, das interessiert mich sehr“.

Die USA hingegen, erzählt er, knallten ihre Positionen bei Verhandlungen als nahezu unumstößliche Positionen auf den Tisch. Dutzende Gremien und Experten hätten diese Positionen ausgearbeitet  - und diese gälten aus Sicht der USA folglich als die Richtigen. „Aber im Nahen Osten wird meistens anders verhandelt“, weiß Klement nach Tausenden langen Stunden der Kompromisssuche.

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Der härteste Teil der Sanktionen

Der ultimative Überlebenstest für den Iran-Deal kommt Anfang November auf die Vertragspartner zu. Dann wird der härteste Teil der US-Sanktionen wirksam. Am liebsten wäre es US-Präsident Trump, wie er bereits mehrmals polterte, wenn die Ölexporte aus dem Iran vollkommen gestoppt würden. Stephan Klement hält dies für eine „absurde Forderung". Internationale Handelsexperten gehen davon aus, dass ein völliger Verzicht auf Öl aus dem Iran weltweit zu massiven Versorgungsengpässen führen würde. Der Ölpreis würde folglich in gewaltige Höhen schnellen.

Und nun? Wie weiter angesichts eines Abkommens, das von Washington regelrecht sturmreif geschossen wird? Ziel der EU ist es, den Iran möglichst im Abkommen zu halten. Für Stephan Klement heißt das im Auftrag der EU vorerst einmal mehr: Verhandeln, verhandeln, verhandeln.