Spanien: Erste Risse im Netz der Korruption
Von Konrad Kramar
Ein Dutzend Ex-Minister auf der Anklagebank, der nun abgesetzte Regierungschef im Zeugenstand, 33 Jahre Haft und 44 Millionen Euro Strafe für den ehemaligen Schatzmeister der regierenden Volkspartei PP, 250.000 Euro Strafe für die Partei selbst: Das ist nur die erste Bilanz eines Korruptionsskandals, der Spaniens konservative Volkspartei und damit das ganze Land seit zehn Jahren in seinen Bann zieht. Doch der sogenannte „Fall Gürtel“ – benannt nach der deutschen Übersetzung des Namen eines der Drahtzieher – ist mehr als das. Er ist die Spitze eines Eisbergs; eines Systems aus Geldwäsche und Korruption, das Spaniens Politik seit dem Übergang von der Diktatur zur Demokratie vor 40 Jahren, beherrscht.
Drei Prozent „Abgaben“
Obwohl der „Fall Gürtel“ als komplexes Netzwerk zwischen Wirtschaftselite und Politik gilt, in dem sich allein 900 Politiker der PP verfangen haben, ist das Prinzip all dieser schmutzigen Geschäfte denkbar einfach. Jeder Unternehmer, der öffentliche Aufträge in Spanien haben wollte, musste die politischen Entscheidungsträger bezahlen. Die Abgaben beliefen sich laut den Angaben des nun verurteilten PP-Schatzmeister Luis Barcenas auf rund drei Prozent der Auftragssumme. Nachdem die einzelnen Politiker ihren Anteil eingestreift haben, floß der Rest in die Parteikassa.
Motor für Bauwahn
Doch die Investition machte sich für die Unternehmer bezahlt. So wurden dem nun zu 50 Jahren Haft verurteilten Unternehmer Francisco Correa – der Namensgeber für den „Fall Gürtel“ – über Jahre sämtliche Veranstaltungen der Volkspartei anvertraut: vom Parteikongress bis zu Wahlkampfauftritten. Die Gesamteinnahmen gingen in die Milliarden.
Dazu kam, dass über die von Barcenas installierten Systeme auch Geldwäsche betrieben wurde. Schließlich floß in den Jahren des in Spanien besonders heftigen Immobilienbooms auch viel Schwarzgeld ins Land, etwa aus Russland. Das dichte Netzwerk zwischen Politik und der alteingesessenen wirtschaftlichen Elite des Landes lieferte Treibstoff für den oft sinnlosen Bauwahn, der Spanien halbleere Wohnhausanlagen und Flughäfen, auf denen nie ein Flugzeug landen sollte, bescherte.
Mariano Rajoy, der jetzt zu Fall gebrachte Regierungschef, war mutmaßlich nie direkter Profiteur der Bestechungsmillionen. Als verlässlicher Erfüllungsgehilfe diente er in diversen Ministerämtern unter dem allmächtigen damaligen Regierungschef Jose Aznar (1996-2004) und war, als die Affäre 2009 mit den ersten Verhaftungen begann, vor allem damit beschäftigt andere in der Partei zu decken. So haben die Angeklagten mittlerweile deutlich gemacht, dass Rajoy von vielen Schmiergeldgeschäften wusste. Er selbst hat das als Zeuge vor Gericht immer abgestritten, blieb im Gegensatz zu den zuletzt eifrig plaudernden Hauptangeklagten treuer Parteisoldat.
Doch Korruptionsaffären sind in Spanien keine Spezialität der Konservativen. Dort wo die Parteien ihre traditionellen Machtbasen haben, produziert das System Korruption. In Andalusien, Hochburg der Sozialisten PSOE, ist soeben ein neues Gerichtsverfahren rund um eine Korruptionsaffäre angelaufen. Es geht um Unternehmensförderungen – und etwa 30 sozialistische Politiker sind verwickelt.
In Katalonien soll der langjährige Regierungschef Jordi Pujol – politischer Ziehvater von Separatistenführer Puigdemont –nicht nur seine Partei, sondern auch sich persönlich bereichert haben. Der Gürtel-Prozess geht demnächst weiter, viele andere aber haben noch nicht einmal angefangen. Die jetzige politische Wende wird das System jedenfalls nicht erschüttern.