Sonneborn im Wahlkampf: "Ich ärgere gern dicke, alte, weiße Männer"
Die „Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative“ meint es ernst. Bei der Europawahl am Sonntag will ihr Vorsitzender Martin Sonneborn seinen 2014 völlig überraschend ergatterten Parlamentssitz in Brüssel verteidigen. Der deutsche Satiriker und ehemalige Chefredakteur des Magazins „Titanic“ rechnet sich gute Chancen aus.
Seine Partei profitiere ja nicht nur vom Bevölkerungswandel und den "langsam aussterbenden Letztwählern der CDU", erzählt er dem KURIER mit staubtrockener Miene. "Unter Schülern und Studenten, da geht unsere Anhängerzahl schon fast in den zweistelligen Prozentbereich." Was diese besonders schätzen: Sonneborns absurd-schräge Reden im EU-Parlament, die im internet auch schon fünf Millionen Mal geklickt wurden. Im Wahlkampf präsentierte seine "Turbopartei der radikalen Mitte" einen "Blocker" gegen die deutsche Rechtspopulisten-Partei AfD.
Ihr „AfD-Blocker“ (Video), wirkt der nur gegen deutsche Rechtspopulisten- oder auch gegen andere in Europa, etwa gegen die FPÖ?
Nein, aber das ist ein open-source Projekt. Und wir bitten die Österreicher und die österreichischen Hacker, sich an ihre elektrischen Geräte zu setzen und eine Erweiterung zu basteln. Das ist ein Aufruf!
Ihr Ableger von „Die Partei“ in Österreich kommt nicht recht vom Fleck. Warum?
Ich glaube, die Österreicher sind noch lethargischer als die Deutschen. Aber es dauert einfach noch drei Jahre, bis man in Österreich gemerkt hat, dass die etablierten, die ehemaligen Volksparteien keine langfristigen Lösungen mehr bieten.
Es hat nix mit Mangel an Spaß zu tun?
Nein, glaube ich nicht. Ich weiß, dass Späße in Österreich genauso geschätzt werden wie in Deutschland. Da ist noch alles drin!
Sie bezeichnen sich oft als „schmierige Partei“: Was würde es brauchen, um Sie nach Ibiza zu locken?
Drogen und eine Oligarchennichte mit ungewaschenen Füßen. Ich als Abgeordneter kann hinfliegen, wo ich will. Aber Ibiza ist mir zu warm im Moment, nach der Klimakatastrophe ist mir Belgien lieber. Belgier ist ja Klimakatastrophengewinner, das wissen Sie sicher, hier wird es warm und trocken und das ist viel angenehmer als auf spanischen Inseln.
Könnten Sie sich vorstellen, die Bildzeitung an einen russischen Oligarchen zu verscherbeln?
Jederzeit. Erstens brauchen wir Beziehungen nach Osten, und ich bin bereit einiges zu tun, um gute Beziehungen zu Moskau wieder aufzubauen. Und wenn sie die Bildzeitung geschenkt bekommen wollen, würde ich sagen: Ja: Zumal wir das Blatt dann los wären. Wir positionieren uns sehr offensiv und aggressiv gegen die Bildzeitung – und das soll auch so bleiben. Max Gold hat mal gesagt: Man muss zu den Leuten, die dort arbeiten, so unhöflich sein, wie es gerade noch geht.
Sie kandidieren wieder für das EU-Parlament. Was ist dieses Mal Ihr Wahlmotto?
Unser Wahlslogan lautet: Für Europa reicht’s. Das spielt darauf an, dass in Deutschland diese Wahl zu einer Schicksalswahl ausgerufen wurde. Vor jeder Wahl wird eine Stimmung aufgebaut, als ob die anstehende Wahl die wichtigste überhaupt sei und man daher keine kleinen Parteien wählen soll, sondern die Großen wählen muss. Ich bin fassungslos, wie nun alle beteuern, in der nächsten Legislaturperiode für Europa zu arbeiten und dabei vergessen, dass sie an der Macht sind. Die Konservativen und die Sozialdemokratie können ja alles durchsetzen, was sie wollen. Das würde ich gerne weiter begleiten und Öffentlichkeit herstellen.
Sie wollten doch Mauern bauen, zumindest haben Sie das in ihrem Wahlkampf 2014 versprochen. Wo ist die Mauer?
Es ist mir ein bisschen peinlich. Wir haben zwei Ideen eingeschleust in die Europa-Politik: da ist unser Prinzip: “ja zu Europa , nein zu Europa“ - das haben die Briten aufgenommen bis zum Exzess. Und das zweite ist der Mauerbau - das wird von der EU aufgenommen, in einer Art, eine Mauer um Europa herum in den nordafrikanischen Staaten aufzuziehen. Das ist mir sehr unangenehm, dass das auf eine Idee von uns zurückgeht, deshalb forcieren wir das nicht so. Ich glaube nicht, dass wir mit Militarisierung Europas und mit Grenzen vor Migration schützen können.
Stimmen Sie im Plenum des EU-Parlaments immer noch abwechselnd mit ja und nein ab?
Im letzten Jahr bin ich dazu übergegangen, etwas konzentrierter abzustimmen. Zwei Drittel Zufall, ein Drittel Strategie, das ist aber immerhin eine viel bessere Zustimmungsquote als die CDU zu bieten hat. Die liegt nur bei einer Zustimmungsquote von bei 16 bis 20 Prozent. Mein Resume daher: Wenn alle Konservativen in der EU abwechselnd mit ja und nein stimmen würden, dann wäre das besser für die EU.
Aber Ihre Stimme war schon einmal die entscheidende…
Ja, bei der e-privacy habe ich damals die ausschlaggebende Stimme geliefert. Ich wurde von den Grünen gebeten, abzustimmen. Mithilfe ein paar schmutziger Tricks konnte ich dann meine Stimme abgeben, indem ich in einem Ausschuss, dem ich gar nicht angehöre, anstelle des NPD-Mannes Udo Voigt abgestimmt habe. Bei der e-privacy es geht u.a. darum, die Auswertung Ihrer gesamten Kommunikation über Computer und Handy zu verhindern, so wie es derzeit noch legal ist.
Ihre Abstimmungsquote liegt bei 70 Prozent, das ist fast doppelt so viel wie Nigel Farrage:
Das wundert mich. Sauerei! Ich stimme nur ja und nein, wenn es bedeutungslos ist… bei wichtigen Abstimmungen bekomme ich Hinweise von den progressiven Parteien und dann stimme ich entsprechend. Normalerweise fange ich bei schlechtem Wetter oder wenn ich schlecht gelaunt bin mit Nein an, ich bin aber durchaus in der Lage, das umzulegen.
Im neuen Parlament, möchten Sie da umgesetzt werden?
Ja, weil neben mit drei sehr unangenehme Leute sitzen, drei rechtsradikale Neoazis der griechischen Goldenen Morgenröte. Die haben in Griechenland einen Pressesprecher mit Hakenkreuztatoos. Und die singen das Horst-Wessel-Lied auf griechisch, dafür verachte ich sie sehr, dass sie es nicht auf deutsch können. Ich habe mich mal beschwert, und dann auf einen besseren Platz gehofft. Aber dann saß plötzlich rechts neben mir Alessandra Mussolini, die Enkelin des Duce. Aber nur zwei Wochen.
Wo möchten Sie denn gerne sitzen?
Neben Elmar Brok.
Der scheidet aber aus dem Parlament aus. Also dann neben wem?
Es gibt schon einen Nachfolger, einen deutschen Abgeordneten aus dem Ruhrgebiet, der schon einmal in schlechter Rechtschreibung gegen mich getwittert hat. Das sind Typen..dicke, dumme, früher waren sie alte, jetzt sind es junge weiße Männer, denen man Öffentlichkeit verschaffen muss.
Neben so jemandem möchten Sie im Plenum sitzen?
Ja, sehr gern. Mitten in der EVP.
Als Spaltpilz?
Nein, als Beobachter. Wir machen ja keine Sacharbeit. In Sacharbeit sei ich eine absolute Niete, sagt meine alte Chefin, Inge Grässle, aus dem Haushalts- und Kontrollausschuss. Ich habe mir drei Aufgaben gestellt: Erstens, ich dokumentiere die unseriöse Seiten des europäischen Parlamentarismus. Dann ärgere ich dicke, alte, weiße Männer, die die EU dahin gebracht haben, wo sie jetzt ist – nämlich in der einer Krise. Und drittens schwinge ich ab und zu große politische Reden vor einem leeren Plenarsaal. Die gehen dann im Netz herum. Unsere Politik ist moderne Turbo-Politik: Wenn ich eine Rede halte und mit einem Witz versehe, geht sie viral und hat dann fünf Millionen Abrufe. Wenn man das vergleicht mit Reden von Elmar Brocken (sic) oder mit Jo Leinen, die haben gut und gerne mal 35 Abrufe, wenn es gut läuft und acht, wenn es schlecht läuft.
Österreicher können Sie gar nicht wählen, so lange es nicht transnationale, europäische Wahllisten gibt.
Richtig, dabei wäre Österreich für uns interessant., weil es hier das Wahlrecht ab 16 gibt. Und das ist genau unsere Klientel. Da haben wir Anhängerzahlen, die in den zweistelligen Prozentbereich gehen. Aber wir arbeiten auch an unserer biologischen Lösung. Die Letztwähler der Konservativen, die sind auch irgendwann Geschichte, und dann kommen die jungen Leute, die dann Partei wählen.
Ist es nicht schwierig, sich als unernste Partei unter all so vielen anderen unernsten Parteien zu profilieren?
Genau, das ist schwierig. Wenn alle anderen satirischer werden, müssen eben wir ernster werden. Und das tun wir auch. Das kann man an einigen Abstimmungen nachvollziehen. Die politischen Standpunkte, die ich in die Öffentlichkeit trage, sind bewusst thematisiert und damit erreichen wir Leute auch: Im Moment kämpfen wir gegen die Militarisierung in der EU, für weniger Korruption, weniger Steuerwettbewerb, mehr Demokratie.
Zur Person: Martin Sonneborn
Zu seiner eigenen Überraschung wurde der deutsche Satiriker und ehemalige Chefredakteur des Titanic-Magazins 2014 mit seiner Spaß-Partei „Die Partei“ ins Europäische Parlament gewählt. Dort will der 53-Jährige, der blitzschnell und mit ungerührter Miene die schrägsten, lustigsten und provokantesten Aussagen in Serie serviert, auch unbedingt bleiben. Seine Chancen stehen sehr gut. Sein Motto im Wahlkampf: „Für Europa reicht’s“. In Deutschland ist Sonneborn vor allem bei jungen Menschen extrem populär. Mit seiner Familie lebt der gebürtige Göttinger und studierte Politikwissenschaftler und Germanist derzeit in Brüssel.