Politik/Ausland

"Die EU verhindert Nationalismus"

Brüssel sendet positive Signale an Serbien. Das Land, das seit einem Jahr offiziell EU-Beitrittskandidat ist, soll nach dem serbisch-kosovarischen Abkommen, von der EU belohnt werden. Über die Zukunft des Balkans sprach der KURIER mit Serbiens Ministerpräsident und Innenminister Ivica Dačić am Montag während seines Aufenthaltes in Wien.

KURIER: Herr Ministerpräsident, wann rechnen Sie mit einem konkreten Datum für Beitrittsverhandlungen?

Ivica Dačić: Wir warten auf eine gute Nachricht aus Brüssel beim EU-Gipfel im Juni. Serbien noch länger zappeln zu lassen, würde die EU-skeptische Strömung im Land verstärken. Wir brauchen jetzt einen großen Schritt vorwärts, das wäre auch für die Stabilität in der ganzen Region wichtig. Zu viele Möglichkeiten der EU-Annäherung haben wir in der Vergangenheit versäumt, jetzt können wir nicht länger warten.

Was hat bei Ihnen den Wandel vom serbischen Nationalisten zum Europa-Befürworter ausgelöst?

Das ist schwer zu sagen. Der Zusammenbruch von Jugoslawien war eine blutige Geschichte. Daraus sollten wir alle unsere Lektion lernen. Es gibt für uns nur eine Perspektive – und die heißt Europa. Die Zukunft des Balkans liegt in der EU. Das ist auch der Weg. Die EU verhindert Nationalismus und hilft, Probleme und Differenzen zu überwinden.

Kürzlich hat sich Staatspräsident Tomislav Nikolić beim bosnischen Volk für den Genozid in Srebrenica entschuldigt. Wollen auch Sie diese Geste gegenüber Bosniern, Kroaten und Kosovo-Albanern setzen?

Denken Sie, dass sich jetzt jeder serbische Politiker entschuldigen sollte, wenn er irgendwohin fährt? Dann sollte sich auch die NATO für die Bombardements beim serbischen Volk entschuldigen. Verbrechen gab es auf allen Seiten. Jetzt geht es darum, die Wunden der Vergangenheit zu heilen. Der Blick zurück bringt keinen weiter, sondern vertieft nur die Konflikte und den Streit. Ich bin sehr pragmatisch. Hätte ich mit Thaçi über die Vergangenheit verhandelt, hätte das in einer schweren Auseinandersetzung geendet. Es gäbe kein Abkommen. Nicht die Vergangenheit, sondern nur die Gegenwart und die Zukunft kann man ändern. Das ist unsere Strategie.

Ist die Vereinbarung, die Sie mit Premier Hashim Thaçi zum Kosovo verhandelt haben, der erste Schritt, den Kosovo als Staat anzuerkennen?

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Mit dem Abkommen hat Serbien die Unabhängigkeit des Kosovo nicht anerkannt. Wir anerkennen das spezielle Regime auf Basis der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates (der Kosovo wurde nach dem Krieg 1999 unter die Verwaltungshoheit der Vereinten Nationen gestellt; die politische Entwicklung wird von der EU überwacht, Anm.). Im Übrigen haben fünf EU-Staaten, Griechenland, Zypern, Spanien, Rumänien und die Slowakei, den Kosovo nicht anerkannt, warum soll es Serbien tun? Das Problem ist, dass der Kosovo einseitig die Unabhängigkeit 2008 erklärte. Kein Land der Welt hätte das akzeptiert. Das Problem ist nicht gelöst, es wird für den Kosovo sehr schwer werden, Mitglied der UNO zu werden.

Wie soll es mit den serbisch-kosovarischen Beziehungen weitergehen?

Die größte Herausforderung auf dem Balkan ist, über die Zukunft zu reden. Wir sind offen für eine Diskussion über den Status. Es geht um gleiche Rechte für alle. Rechte können nicht nur für bestimmte Gruppe gelten. Wir bemerken, dass es in Europa kaum Reaktionen auf nationalistische Töne aus Tirana gibt.

Sprechen Sie jetzt die Idee von Groß-Albanien an?

Tirana ruft nach Groß-Albanien. Das bedeutet, dass Geister der Vergangenheit wachgerufen werden. Diese Geister zu bannen, das ist sehr schwierig. Die EU sollte darauf stärker reagieren.

Halten Sie noch an Ihrem Plan fest, den Nordkosovo an Serbien anzuschließen und damit die Grenzen neu zu ziehen?

Das sind Grenzen, die nie Grenzen waren. Ich habe diese Frage als Beitrag zu einer maßgeschneiderten Lösung des Problems gestellt, das war meine persönliche Meinung. Diese Frage der Grenzziehung ist ein rotes Tuch in der EU, weil Länder Angst haben, das Beispiel könnte kopiert werden. Ich verstehe die Sensibilität dieser Frage, und ich insistiere nicht auf dieser Diskussion. Vergangene Woche gab es dazu eine Debatte im US-Kongress. Ein Abgeordneter sagte ganz klar, dass es falsch ist, Grenzen zu ziehen, die ethnisch nicht klar sind.

Zur Person: Ivica Dačić: Pragmatisch, verwandlungsfähig und machtorientiert

Geboren 1966 in Prizren (Kosovo); Politik-Studium in Belgrad.

Politische Karriere Pressesprecher der Sozialistischen Partei zwischen 1992–2000, die von Slobodan Milošević gegründet worden war. 2006 übernahm er den Vorsitz der Sozialistischen Partei Serbiens (SPS). Nach den Wahlen 2012 verdoppelte die SPS ihren Stimmenanteil. Dačić bildete eine Koalitionsregierung, im Juli 2012 wurde er Ministerpräsident.

Abkommen Serbien-Kosovo In zehn Verhandlungsrunden unter Vermittlung von EU-Chefdiplomatin Catherine Ashton einigten sich Dačić und Kosovo-Premier Hashim Thaçi über ein Abkommen, das unter anderem die Rechte der Serben im Nordkosovo regelt.