Selenskij: Russland ist ein "Terrorstaat", neue Angriffe im Osten
Tag 142 nach dem russischen Angriff auf die Ukraine:
Nach dem Raketenangriff auf das Zentrum der Großstadt Winnyzja im Westen der Ukraine mit zahlreichen getöteten Zivilisten hat Präsident Wolodymyr Selenskij Russland als „Terrorstaat“ bezeichnet. „Kein anderer Staat in der Welt stellt eine solche terroristische Gefahr dar, wie Russland“, sagte Selenskij in seiner am Donnerstagabend veröffentlichten Videoansprache.
Kein anderes Land auf der Welt nehme sich heraus, jeden Tag mit seinen Raketen und seiner Artillerie „friedliche Städte und alltägliches menschliches Lebens“ zu vernichten, sagte Selenskij. Bei dem Raketenangriff seien am Donnerstag in Winnyzja 23 Menschen getötet worden, darunter drei Kinder. Das seien noch nicht die endgültigen Zahlen. Die Suche nach Dutzenden Vermissten in den Trümmern gehe weiter, sagte Selenskij. Es gebe auch viele Schwerverletzte.
Auch das österreichische Außenministerium verurteilte den Angriff. "Zivilisten anzugreifen ist ein #Kriegsverbrechen - es darf keine Straffreiheit geben, die Täter dieser Gräueltaten müssen zur Rechenschaft gezogen werden", hieß es in einem Tweet von Donnerstagabend.
Die Attacke erfolgte, nachdem Gespräche zwischen Moskau und Kiew über die Wiederaufnahme der ukrainischen Getreidelieferungen am Donnerstag positiv verlaufen sind. "Wir sind definitiv einen Schritt näher an einem Ergebnis", sagte der ukrainische Infrastrukturminister Oleksandr Kubrakow gegenüber Reuters.
Kriegsverbrechertribunal gegen Russland
Der Tag habe noch einmal gezeigt, dass Russland offiziell als „Terrorstaat“ eingestuft werden sollte und die Verantwortlichen vor ein Kriegsverbrechertribunal gehörten, sagte Selenskij. Auch ein medizinisches Zentrum sei getroffen worden. „Und wenn jemand einen Angriff auf ein medizinisches Zentrum in Dallas oder Dresden ausführen würde - (...) Ist das etwa kein Terrorismus?“
Beamte in Kiew bezeichnen den Raketenangriff auf die zentralukrainische Stadt Winnyzja als Kriegsverbrechen.
Russland hält seit dem Einmarsch in die Ukraine Ende Februar an der Darstellung fest, im Nachbarland nur militärische Ziele anzugreifen. Trotzdem gibt es viele zivile Opfer, auch die Zerstörung ziviler Infrastruktur hat enorme Ausmaße erreicht. Oft verfehlen Raketen alter sowjetischer Bauart ihre Ziele.
EU-Experten: Sanktionen gegen Russland wirken
Die gegen Russland verhängten EU-Sanktionen entfalten nach bislang unter Verschluss gehaltenen Daten ihre Wirkung. Wie Experten der EU-Kommission der Deutschen Presse-Agentur bestätigten, betreffen zielgerichtete Handelsbeschränkungen mittlerweile russische Exportgeschäfte, die vor dem Krieg ein Volumen von mehr als 73 Milliarden Euro im Jahr hatten. Prozentual gesehen geht es um 48 Prozent der bisherigen Ausfuhren Russlands in die EU.
Hinzu kommt unter anderem, dass innerhalb von rund vier Monaten russische Vermögenswerte von rund 13,8 Milliarden Euro eingefroren wurden - zum Beispiel von Oligarchen und anderen Unterstützern von Kremlchef Wladimir Putin. Milliardenschwere Reserven der russischen Zentralbank können ebenfalls nicht mehr abgerufen werden.
Russland setzt Angriffe fort
Das Ziel, den russischen Angriff auf die Ukraine zu stoppen, verfehlen die Sanktionen allerdings bisher. Die russischen Streitkräfte stellen sich im Osten der Ukraine neu auf, um ihre Offensive im Donbass fortzusetzen. Dabei sei Kramatorsk von der Artillerie beschossen worden. Die Großstadt ist Teil eines Ballungsraums mit etwa 500.000 Einwohnern, den Kiew zur wichtigsten Festung im Donbass ausgebaut hat.
Auch der nördliche Teil des Ballungsraums, die Großstadt Slowjansk, rückt wieder in den Fokus russischer Angriffsbemühungen. Dort versuchten die Russen mithilfe von Artilleriefeuer auf eine Reihe von Ortschaften nördlich der Stadt ihre taktische Lage zu verbessern, um so wieder in den Angriff übergehen zu können, heißt es im Lagebericht des Generalstabs.
In Richtung Bachmut - einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt südöstlich von Kramatorsk - wird ebenfalls gekämpft. Unter anderem habe es Luftangriffe auf ein Wärmekraftwerk gegeben, berichtete das ukrainische Militär. Die Hauptanstrengungen der Russen richteten sich auf die Eroberung der Städte Bachmut und Soledar. Auch das britische Verteidigungsministerium geht davon aus, dass Bachmut das nächstes russische Angriffsziel wird.
"Versuche eines feindlichen Sturms im Raum Kodemi und Bilohoriwka haben unsere Kämpfer erfolgreich gestoppt ebenso wie die Versuche, die Ortschaften Spirne und Werschyna zu erobern. Die Okkupanten sind auf harten Widerstand gestoßen, haben deutliche Verluste erlitten und mussten sich schmählich zurückziehen", heißt es dazu
Die Ukraine kämpft seit fast fünf Monaten gegen die russische Invasion zur Eroberung der ostukrainischen Gebiete Luhansk und Donezk. Die russischen Truppen haben dabei den Regierungsbezirk Luhansk fast komplett unter ihre Kontrolle gebracht. Der Schwerpunkt der Kämpfe hat sich ins benachbarte Donezker Gebiet verlagert.