Schottland startet neuen Anlauf für Unabhängigkeit
Von Georg Szalai
„England, Schottland, Wales und die Insel Irland werden immer die engsten Freunde, werden immer Familie sein“ – die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon ging beim Parteitag ihrer SNP auf Kuschelkurs, bevor sie zum Knackpunkt kam: „Aber wir können eine echte Partnerschaft auf Augenhöhe erreichen, wenn wir Schottlands Unabhängigkeit erringen.“
"Rechte vorenthalten"
Danach hatte sie gewohnt scharfe Worte für die Regierung in London parat. Mit „aggressivem Unionismus“ versuche diese, den Schotten „demokratische Rechte vorzuenthalten“. Gemeint war damit ein neues Unabhängigkeitsreferendum, das Sturgeon am 19. Oktober 2023 abhalten will, ohne dafür die derzeit notwendige Zustimmung Londons zu haben.
Weil 55 Prozent der Schotten bei der Volksabstimmung 2014 für die Union votierten, ist das Thema für London abgehakt. Die SNP sieht aber den Brexit, den eine Mehrheit der Schotten ablehnte, als grundlegende Änderung der Lage.
Sturgeons Regierung wandte sich daher an den britischen Obersten Gerichtshof, der klären soll, ob das Regionalparlament in Edinburgh die Volksbefragung auch ohne grünes Licht aus London ansetzen kann.
Noch viel zu tun
Am Dienstag begannen die Richter eine zweitägige Anhörungen. Ihr Spruch wird in sechs bis acht Wochen erwartet. Eine Abspaltung Schottlands müsste auf jeden Fall nach einem Ja zum Ende der seit 1707 bestehenden Union noch von den Parlamenten in London und Edinburgh per Gesetz bestätigt werden.
Sollte das Höchstgericht gegen sie entscheiden, will Sturgeon die nächste britische Parlamentswahl zum de facto Plebiszit – ohne rechtliche Bindung – über die Unabhängigkeit machen. In Umfragen liegen derzeit Fans und Gegner der Union etwa gleich auf.
Sturgeon scheint aber auch Überzeugungsarbeit in puncto Timing vor sich zu haben. Laut Survation wollen nur 35 Prozent der Schotten ein Referendum schon 2023 sehen.