Politik/Ausland

Schotten als Joker für britische Wahlen

Das Angebot war derart unverblümt und noch dazu von einer Dame, dass Labour-Chef Ed Miliband ein Weilchen brauchte, bis er aus seiner Verlegenheit herausfand. Sie könne ihm helfen, "ein bisschen mutiger" zu sein, hatte sich Nicola Sturgeon in einer TV-Debatte direkt an den Labour-Chef gewandt:"Nützen Sie die Chance! Werfen Sie David Cameron aus der Downing Street – oder wollen Sie ihn lieber dort sitzen lassen, bevor Sie mit uns zusammenarbeiten."

Zusammenarbeit mit Nicola Sturgeon und der SNP, also den schottischen Nationalisten, das könnte für Ed Miliband und seine Labour-Partei der Weg zurück an die Macht sein: Nach den Parlamentswahlen, morgen Donnerstag, den 7. Mai. Der einzige, wenn man den jüngsten Umfragen vertraut. Laut ihnen kann Labour nur in einer Koalition oder zumindest einer engen Zusammenarbeit mit der SNP eine regierungsfähige Mehrheit von 326 Mandaten im Londoner Unterhaus zusammenbekommen.

Für Miliband ist das trotzdem undenkbar, bis nach den Wahlen zumindest. "Ich muss leider ablehnen", gab er Sturgeon vor laufenden Kameras einen Korb:"Uns trennt zu viel."

Schottlands Unabhängigkeit

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Es ist vor allem eines, das Labour von den schottischen Nationalisten trennt: Die Unabhängigkeit Schottlands. Für die hatte die SNP bei der Volksabstimmung im Herbst des Vorjahres im Alleingang getrommelt und zuletzt knapp verloren. Mit Versprechungen von mehr Eigenständigkeit und offenen Drohungen – Verarmung, Abwanderung etc. – hatten die in London regierenden Konservativen, aber auch die Labour-Partei das "Nein" der Schotten zur Unabhängigkeit zuletzt gerettet.

Alle Mandate an SNP

Die Versprechen aus London landeten bald auf der langen Bank. Der SNP verschaffte das nur noch mehr politischen Auftrieb. War sie bei den letzten britischen Unterhauswahlen noch auf Platz drei mit gerade einmal sechs Mandaten gelandet, sagen ihr die Umfragen diesmal einen historischen Triumph voraus: Alle 59 in Schottland zu vergebenden Mandate könnten an die SNP gehen.

Möglich gemacht hat das auch der Wechsel an der Spitze der Partei. Deren langjähriger Chef Alex Salmond, ein hemdsärmeliger Hitzkopf mit viel Charisma, ist nach dem verlorenen Referendum abgetreten. Seine Stellvertreterin Nicola Sturgeon rückte nach. Als Lückenbüßerin mutmaßten viele vorerst.

Doch Sturgeon erfand sich selbst neu, politisch aber auch modisch. Als Kind einer Arbeiterfamilie aus einer schottischen Kleinstadt setzt sie ihre früher oft belächelte Bodenständigkeit inzwischen gewinnbringend ein. "Zwischen all den versnobten Elite-College-Absolventen in der britischen Politik, wirkt sie einfach wohltuend normal", kommentiert ein deutscher Journalist das öffentliche Auftreten der Schottin. Die britischen Boulevardzeitungen dagegen liefern Fotostrecken über ihr neues Styling. "Die plumpen Jacken sind im Müll", freute sich sogar die Daily Mail,die mit schottischen Nationalisten üblicherweise nichts am Hut hat.

Der Aufschwung verschafft den Nationalisten eine möglicherweise entscheidende Rolle bei der Wahl. Sollten die Ergebnisse tatsächlich so knapp werden, wie es die Umfragen voraussehen, und sich daher keine regierungsfähige Mehrheit für keine der beiden Großparteien ausgehen, könnte die Stunde der SNP schlagen.

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Als sozialdemokratische Partei klassischen Zuschnitts wären sie der passende Koalitionspartner für Labour, wenn da die Unabhängigkeit nicht wäre. Die Volksabstimmung im vergangene Herbst sei "die einzige für eine ganze Generation" hatte die SNP damals verkündet. Doch daran will sich Sturgeon nicht mehr wirklich erinnern. Der Frage, ob sie von einem Koalitionspartner Labour eine weitere Volksabstimmung fordern würde, weicht die Parteichefin geschickt aus.

Für den konservativen Premier David Cameron der perfekte Anlass, um vor einem Geheimpakt von Labour mit der SNP zu warnen. Denn der habe nur ein Ziel: "Das Auseinanderbrechen Großbritanniens".