Politik/Ausland

Zweite Explosionswelle schockt Libanon: Israel kündigt neue Kriegsphase an

Im Libanon sind am Mittwoch neuerlich hunderte Telekommunikationsgeräte explodiert. Laut dem Gesundheitsministerium wurden mittlerweile insgesamt 32 Menschen getötet und mehr als 3.250 verletzt, als von der Hisbollah-Miliz benutzte Walkie-Talkies in die Luft gingen. 

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Während UNO-Generalsekretär António Guterres von einem möglichen "Präventivschlag vor einer größeren Militäroperation" sprach, gab Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant eine Truppenverlegung an die Grenze zum Libanon bekannt und sprach von einer "neuen Phase des Krieges".

Die Hisbollah schwor Vergeltung

Bereits am Dienstag waren an mehreren Orten im Libanon gleichzeitig Hunderte Pager explodiert, die Menschen unter anderem in ihren Hosentaschen trugen. Dabei wurden rund 2.800 Menschen verletzt und mindestens 12 starben. Die Hisbollah machte Israel für den Angriff vom Dienstag verantwortlich und schwor Vergeltung. Israel selbst äußerte sich dazu nicht. Auch die Explosionen vom Mittwoch kommentierte Israel zunächst nicht.

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Angesichts der Lage will der UNO-Sicherheitsrat zu einer Dringlichkeitssitzung zusammenkommen. Das mächtigste Gremium der Vereinten Nationen soll sich nach Angaben aus Diplomatenkreisen am Freitag um 21.00 Uhr MESZ treffen. Hisbollah-Anführer Hassan Nasrallah kündigte für Donnerstagnachmittag eine Rede an. 

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Gallant: "Wir treten in eine neue Phase des Krieges ein"

Israels Verteidigungsminister Gallant machte klar, dass sich sein Land auf eine Verschärfung der Feindseligkeiten mit der Hisbollah-Miliz vorbereitet. "Wir treten in eine neue Phase des Krieges ein, die uns Mut, Entschlossenheit und Ausdauer abverlangt", sagte er am Mittwoch in einer Rede auf einem Luftwaffenstützpunkt. Der Schwerpunkt verlagere sich in das Grenzgebiet im Norden. Dorthin würden Truppen und Ressourcen verlegt.

Seit Ausbruch des Krieges im Gazastreifen mit der palästinensischen Hamas liefern sich israelische Grenztruppen mit der Hisbollah-Miliz im Libanon fast täglich kurze Gefechte. Wegen der Beschießungen mit Granaten und Raketen sowie der Drohnenangriffe haben Tausende Israelis die Grenzregion verlassen und leben in provisorischen Unterkünften. Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hat erst vor einigen Tagen versprochen, die Voraussetzungen für die Rückkehr der Vertriebenen zu schaffen.

Panik-Videos gehen um die Welt

Die zweite Explosionswelle durchzog den Libanon am späten Nachmittag. Während im südlichen Beiruter Vorort Beerdigungen für Opfer vom Vortag abgehalten wurden, wurden die erneuten Explosionen gemeldet. Aus Hisbollah-Kreisen hieß es, "drahtlose Geräte wie Walkie-Talkies" seien explodiert.

Videos in sozialen Medien zeigten, wie sich während der Beerdigungszeremonie Panik ausbreitete, nachdem Knallgeräusche zu hören waren. Der ranghohe Hisbollah-Funktionär Hashim Safieddine sagte als Reaktion auf die explodierten Pager vom Vortag: "Diese Aggression hat ihre eigene Strafe und Vergeltung, und die Strafe wird kommen." Die Hisbollah hatte bereits zuvor Vergeltung angekündigt.

Auch in der Hafenstadt Tyrus im Süden des Landes waren Explosionsgeräusche zu hören, wie Menschen von vor Ort berichteten. Zahlreiche Krankenwagen seien im Einsatz. Lokale Medien berichteten außerdem von Explosion in Sidon und weiteren Orten im Süden des Landes. Der libanesische Zivilschutz sagte, seine Teams seien im Süden und Osten des Landes und in den südlichen Vororten Beiruts im Einsatz, um Brände an Autos, in Geschäften und weiteren Gebäuden zu löschen. Diese Gebiete werden vor allem von der Hisbollah kontrolliert.

Bereits zuvor hatte die libanesische Regierung erklärt, sich auf einen möglichen israelischen Großangriff vorzubereiten. Der Leiter des Notfallausschusses der Regierung, Nasser Yassin, sagte laut libanesischer Nachrichtenagentur NNA: "Wir haben mögliche Szenarien für den Fall ausgedehnter israelischer Angriffe vorgestellt." Das Bildungsministerium habe eine Liste mit rund 100 Schulen vorgelegt, die als Notunterkünfte dienen könnten. Nahrungsmittelreserven reichten nach Regierungsangaben im Libanon für mehr als drei Monate.

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"Ernsthafte Gefahr einer dramatischen Eskalation"

UNO-Generalsekretär António Guterres sagte, es bestehe die "ernsthafte Gefahr einer dramatischen Eskalation". "Die Logik hinter der Explosion all dieser Geräte besteht natürlich darin, dies als Präventivschlag vor einer größeren Militäroperation zu tun", sagte Guterres am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in New York. Guterres bezog sich dabei auf die Explosionen vom Dienstag, die Nachrichten der neuerlichen Detonationen trudelten während der Veranstaltung ein.

Das UNO-Menschenrechtsbüro verurteilte die verheerenden Folgen der Explosionen als "schockierend". "Die Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung sind inakzeptabel", sagte Sprecherin Ravina Shamdasani in Genf. "Die Angst und der Terror, die dadurch ausgelöst werden, sind weitreichend." Es verstoße gegen das internationale Menschenrechtsnormen, einen Angriff gleichzeitig auf tausende Personen durchzuführen, ohne zu wissen, wer das Gerät zum Zeitpunkt des Angriffs bei sich hatte oder wo und in welcher Umgebung die Person sich gerade befand. Es könne sich auch um einen Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht handeln, verlangte das Büro eine transparente Untersuchung der Vorfälle. Die, die den Angriff geplant und ausgeführt haben, müssten zur Rechenschaft gezogen werden.

Iran bot Hilfe an

Der mit der Hisbollah verbündete Iran kündigte indes an, 100 Verletzte aus dem Libanon ausfliegen zu wollen. Die meisten der Verwundeten, die in iranische Krankenhäuser gebracht werden sollen, hätten Verletzungen an Händen und Augen erlitten, sagte der Leiter der Roten Halbmond-Gesellschaft, Pirhussein Koliwand. 95 Patienten würden in den kommenden Stunden ausgeflogen. Der Iran hatte zuvor Ärzte und Pfleger in das Mittelmeerland entsandt, dessen Gesundheitssystem völlig überlastet ist.