Jetzt ist Friedrich Merz die letzte Hoffnung der SPD
Von Evelyn Peternel
Glaubt Olaf Scholz tatsächlich, dass er nochmals Kanzler werden kann?
Offensichtlich. Andernfalls hätte er die boshaften Kommentare seiner Partei, er sei eigentlich völlig unqualifiziert für das Amt, das er jetzt ausübt, nicht einfach ausgesessen. Das erzählt viel über ihn und seine Engstirnigkeit. Es erzählt noch mehr über den Machtapparat, der hinter Scholz steht, den er sich jahrelang aufgebaut hat und der ihn jetzt stützt. Am meisten erzählt die Episode aber über die Realitätsfremdheit dieses ganzen Apparats.
Gute, alte Tradition
Die SPD hatte immer schon ein Händchen dafür, sich selbst vorzuführen, speziell in Sachen Kanzleramt. 2009 wollte die Partei Frank-Walter Steinmeier als Kandidat küren, doch just bei der Nominierungssitzung warf Parteichef Kurt Beck frustriert hin. Vier Jahre später gab es den Plan, einen Dreikampf zwischen Steinmeier, Peer Steinbrück und Sigmar Gabriel zu inszenieren, doch keiner wollte ernsthaft gegen Merkel antreten (Steinbrück scheiterte dann auch spektakulär). 2017 folgte dann die Nominierung von Martin Schulz, parteiintern nur „Sturzgeburt“ genannt – da hatte Parteichef Sigmar Gabriel zuvor entnervt den Hut geworfen (Schulz war dann ebenso spektakulär wie seine Vorgänger gescheitert).
Man könnte meinen, die SPD hätte daraus lernen können. Hat sie aber ganz offensichtlich nicht. Wohl auch, weil die Partei schon immer gern an ihren Chefs und Kanzlern litt, weil sie eine lange Tradition in öffentlichem selbstzerstörerischen Verhalten hat. Die Ausnahme war die Nominierung von Olaf Scholz, allerdings war dessen Einzug ins Kanzleramt eher Zufall: Zwar stand die Partei geschlossen hinter ihm, gewinnen konnte er aber nur dank des Versagens der Konkurrenz. Scholz’ Beliebtheit stieg erst, als CDU-Kandidat Armin Laschet sich beim Besuch von Flutopfern um Kopf und Kragen gelacht hatte.
Auch jetzt gilt Friedrich Merz als letzte Hoffnung der SPD: Der CDU-Chef ist als Choleriker bekannt, eine kleine Chance für Fehltritte besteht also. Denn in der Partei traut kaum einer Scholz zu, aus eigener Kraft von den erniedrigenden 14 Prozent wegzukommen, bei denen sie derzeit liegt. An der Basis sagen immer mehr Genossen offen, dass sie für ihn nicht von Haus zu Haus laufen würden, der Wahlkampf sei abgeschrieben. Mit ihm habe die Partei für eine Niederlage mit Ansage gestimmt.
Entfremdung
Die Entfremdung, die hier zwischen der Partei und ihrer Führung zutage tritt, ist kein neues Phänomen. In der Parteiführung hält man seit jeher gern Innenschau und trägt den Zank nach außen, Sticheleien und Intrigen inklusive. Eigene Machtfragen wirkten deshalb manchmal wichtiger als das, was gerade im Land passiert: Die Frage, warum 60 Prozent der Deutschen Pistorius für den besseren Mann halten, und warum Scholz von allen potenziellen Kandidaten der absolut schlechteste ist – in der Kanzlerfrage ist er sogar hinter Alice Weidel – hat man im Führungszirkel einfach weggelächelt.
Dabei müsste vor allem der Vergleich mit den Rechtspopulisten der SPD wirklich Sorge bereiten, demokratie- wie machtpolitisch: Sie liegen mit 18 Prozent nämlich deutlich vor der Kanzlerpartei.
Es mag so gewirkt haben, als hätte Scholz bei seiner eigenen Entmachtung nicht mehr viel mitzureden. Doch der erfahrene Machttaktiker hatte stets diejenigen hinter sich, die das letzte Wort haben. Viele halten ihm aus Angst vor dem eigenen Bedeutungsverlust die Stange: Parteichef Lars Klingbeil, der seine Kampagne 2021 verantwortete, stand eisern zu ihm – er könnte im Fall einer Großen Koalition Außenminister werden. Aus diesem Amt heraus, so die Spekulation, könnte er später mal um das Kanzleramt kämpfen, in vier oder acht Jahren vielleicht.
Boris Pistorius, und auch das war nichts anderes als Kalkül, wollten seine Förderer nicht verheizen. Die Wahl sei ohnehin verloren, da opfert man lieber den schon angeschlagenen Scholz als den unverbrauchten Neuling. Scholz, so die Rechnung, könnte sich nach einer verlorenen Wahl zurückziehen.
„Dämlich“
Das Problem dabei ist die Außenwirkung. All das ist Politstrategie, oder besser: Selbsterhaltungsstrategie – und zwar in einer Phase, in der es um ganze andere Dinge als Posten geht. Selbst die freundlichsten Beobachter schütteln deshalb die Köpfe: „Dämlich“ nennt das Handelsblatt das Drama, und der Spiegel schreibt über Scholz und seine „Dilettanten“: „Ihm und seiner Partei ist nicht mehr zu helfen.“
Sicher sind sich alle auch bei einem anderen Befund. Bei Scholz’ Nominierung im Jänner wird es ein Nachbeben geben, das richtig große Erdbeben ist dann am Wahltag zu erwarten. Scholz’ selbst scheint das auch am Tag nach Pistorius’ Rückzieher nicht zu berühren. Bei einer SPD-Veranstaltung in Berlin sagte er zu den schlechten Umfragen nur, die seien „unzuverlässig“. Und das Kandidaturgewürge? Das erwähnte er nicht mal.