Schicksalsgipfel für Europa: Italien legt sich vorerst quer
Mit ihrer Stärke hat Angela Merkel nahezu alle Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs in den vergangenen 13 Jahren dominiert. Doch dieses Mal ist es die politische Schwäche der deutschen Kanzlerin, die sie ins Zentrum rückt. Daheim von der rebellierenden CSU bedrängt, sucht sie in Brüssel weiter einen Fluchtweg – mithilfe der Unterstützung europäischer Verbündeter.
Die ist ihr besonders von Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron sicher: Einige Staaten würden jetzt nationale Maßnahmen vorschlagen, tadelte er gestern vor Gipfelbeginn scharf. Er aber, fuhr Macron fort, „glaube an eine europäische Lösung und Kooperation in der
EU und im Schengen-Raum“. Hinter dem Code-Wort „Europäische Lösung“ steht nichts anderes als „Mission Rettung Merkel“ – und mit ihr die Ablehnung einseitiger nationaler Grenzkontrollen. Setzen sich Merkels Gegner durch, droht nach Meinung Macrons das Ende des Schengenraums – also des grenzbefreiten Reisens in der EU.
Auch Spaniens, Finnlands und Irlands Regierungschefs stellten sich demonstrativ hinter Merkels Anliegen: Wer wie viele abgewiesene Asylwerber innerhalb der EU zurücknehmen muss, solle auf europäischer Ebene koordiniert ablaufen. Selbst Griechenlands Premier Tsipras, die längste Zeit harscher Kritiker der Regierung in Berlin, kommt Merkel entgegen: Er will Asylwerber aus Deutschland zurücknehmen, die in Griechenland ihren Antrag gestellt hatten.Österreich werde kein derartiges Abkommen mit Deutschland schließen, sagte Kanzler Sebastian Kurz gestern. Die Zusammenarbeit funktioniere ohnehin gut. Sollte aber Deutschland beginnen, Asylwerber an der Grenze abzuweisen, so Kurz weiter, „werden wir die gleichen Maßnahmen setzten“.
Ohne Trophäe
Ob die Zahl ihrer europäischen Unterstützer ausreicht, um Merkel vor der Attacke der CSU daheim zu retten, bleibt abzuwarten. Sicher ist nur: Mit der Trophäe eines gesamteuropäischen Durchbruchs wird die CDU-Chefin den Gipfel heute nicht verlassen.
Italiens neuer Regierungschef Conte blockierte indessen vorerst einige Beschlüsse. Er wollte sich so Druckmittel in der Hand behalten, damit die EU-Partner der Regierung in Rom beim Asyl-Thema entgegen kommen.
Die Mehrheit der EU-Staats- und Regierungschefs widmete sich aber vor allem der Frage: Wie verhindern, dass Migranten überhaupt in Boote steigen? Mit verstärktem Schutz der EU-Außengrenzen, lautet ihre gemeinsame Antwort. Und mit grünem Licht für die Entwicklung von „Anlandezentren“ für gerettete Migranten in Nordafrika. Die Annahme, dass derartige Lager nicht rechtskonform seien, weist Kurz zurück: „Wichtig ist die Idee dahinter. Die Rettung aus dem Mittelmeer darf nicht automatisch zum Ticket nach Europa werden.“
Während sich innerhalb Europas weiter keine Lösung finden lässt, wie Flüchtlinge unter den EU-Staaten aufgeteilt werden könnten, ziehen die EU-Staaten bei der verstärkten Abschottung nach außen an einem Strang. Das sei der Beginn einer Trendwende, sagte Kurz sichtlich zufrieden. „Wir fordern seit Jahren einen Systemwechsel. Es ist notwendig, dass die Zahl der Menschen reduziert wird, die illegal nach Europa kommen.“