Putin-Kritiker Nawalny ausgeschaltet
Von Elke Windisch
Eine letzte Umarmung mit den Eltern, ein Kuss für die Gattin. Ihr übergab Kreml-Kritiker Alexei Nawalny auch seine Armbanduhr und das Mobiltelefon. Über dieses hatte er, kurz bevor die Handschellen zuschnappten, seinen vorerst letzten tweet abgesetzt: „Sitzt ohne mich nicht tatenlos herum. Freiwillig wird dieses Pack die Gasleitung nicht aus den Händen geben.“ Gemeint waren Nawalnys politische Gegner. Mit ihrem Druck auf die Justiz erklärte er das Urteil, das am Donnerstag in Kirow, 900 km östlich von Moskau, gegen ihn erging: Fünf Jahre Haft und eine Geldstrafe von 500.000 Rubel – ca. 12.500 Euro.
Als Berater des Gouverneurs, so die Urteilsbegründung, habe er den Staatskonzern Kirowles zum Abschluss unvorteilhafter Verträge gedrängt. Die so entstandenen Verluste beliefen sich auf umgerechnet 400.000 Euro. Das erfüllt den Tatbestand der Untreue, darauf stehen bis zu zehn Jahre Haft.
Wenig später aber kam die überraschende Beschwerde der Generalstaatsanwaltschaft – die eigentlich als Vollstreckerin Putins gilt – gegen die Inhaftierung. Am Freitag soll eine Verhandlung über die Beschwerde gehalten werden.
Urteil und Plädoyer wortgleich
Die Anklage hatte für Nawalny Anfang Juli sechs Jahre Haft und eine Geldstrafe von umgerechnet 25.000 Euro beantragt. Das Gericht blieb nur wenig unter diesen Forderungen und übernahm auch aus dessen Schlussplädoyer ganze Passagen im Wortlaut. Darunter die Feststellung, dass der Prozess die Schuld der Angeklagten bewiesen habe und ihre Tat „für die Gesellschaft gefährlich gewesen“ sei.
Sympathisanten fühlten sich an die Prozesse gegen Ex-Jukos-Chef Michail Chodorkowski erinnert, die als politisch motiviert gelten. Der Oligarch hatte Oppositionelle finanziert, die Business-Interessen von Putin Paladinen gestört und in seinem Schlusswort den Untergang Putins zur Zeitfrage erklärt.
Nawalny hatte in seinem Schlusswort gedroht, er und Gleichgesinnte würden alles tun, um das „Feudalsystem“ in Russland zu zerstören. Und der 37-jährige Jurist und Querdenker ist nicht der Mann, der es bei bloßen Drohungen bewenden lässt.
Nach der Parlamentswahl 2011 gründete er eine Protestbewegung, die die Macht kurz das Fürchten lehrte. Zuvor hatte Nawalny sich mit einer Homepage unbeliebt gemacht, die die krassesten Fälle von Korruption anprangert. Und er brachte Putins „Amigos“ mit Klagen gegen Staatskonzerne in Rage. Selbst Kleinaktionär und Anwalt, vertrat Nawalny Anleger, die sich geprellt fühlten, da trotz Gewinn keine Dividende ausgezahlt wurde.
Das Urteil sei politisch motiviert wie das gegen Chodorkowski, glauben Menschenrechtler. Anhänger riefen zu einer Demo in Moskau auf. Der Ansturm hielt sich in Grenzen: Das Meeting war nicht genehmigt, und Nawalny ist auch bei Regimegegnern umstritten.
Extrem populär ist Nawalny jedoch weiterhin bei den Liberalen. Sie nominierten ihn auch für die Bürgermeister-Wahl in Moskau am 8. September. Kurz vor Urteilsverkündung wurde er offiziell registriert. Solange das Urteil nicht rechtskräftig ist, dürfen sich auch Häftlinge um Ämter bewerben. Und das vom Kreml ernannte Stadtväterchen Sergei Sobjanin, der sich jetzt durch Abstimmung demokratisch legitimieren lassen will, braucht oppositionelle Gegenkandidaten um Vorwürfe zu entkräften, russische Wahlen seien weder fair noch frei.
Doch Nawalny hat die Intrige durchschaut: Kurz nach der Urteilsverkündung zog er seine Bewerbung zurück.