Russland löst bekannteste Menschrechtsorganisation auf
Die seit Jahrzehnten tätige, bekannteste russische Menschenrechtsorganisation, Memorial, darf nicht mehr arbeiten. Russlands Oberstes Gericht hat die Schließung von Memorial verfügt. Richterin Alla Nasarowa gab am Dienstag einem entsprechenden Antrag der Generalstaatsanwaltschaft wegen "Verstoßes gegen russische Gesetze" statt.
Memorial weist die Vorwürfe zurück und beklagt politische Verfolgung. Jan Ratschinski von der Memorial-Leitung kündigte an, gegen das Urteil vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorzugehen.
Die 1987, also noch in der Sowjetunion gegründete Gesellschaft sprach von einer „politischen Entscheidung“ ohne Rechtsgrundlage. Ziel sei die „Zerstörung einer Organisation, die sich mit der Geschichte politischer Repressionen und mit dem Schutz der Menschenrechte befasst“. Menschenrechtler beklagen zunehmende autoritäre Tendenzen und die Verfolgung Andersdenkender in Russland.
Der Vertreter der russischen Generalstaatsanwaltschaft, Alexej Dschafjarow, sagte vor Gericht, dass Memorial mit seiner Arbeit die vor 30 Jahren aufgelöste Sowjetunion als „Terrorstaat“ darstelle und Lügen über das Land verbreite. Die russische Justiz warf Memorial zudem wiederholte Verstöße gegen das Gesetz über ausländische Agenten vor.
Die Organisation ist bereits mehrfach zu Geldstrafen verurteilt worden, weil sie sich selbst nicht als ausländischer Agent bezeichnet. Das Gesetz sieht vor, dass Empfänger von Zahlungen aus dem Ausland als „Agenten“ bezeichnet werden können. Betroffen sind auch viele Journalisten.
Memorial setzt sich zum Ärger der russischen Führung auch für politische Gefangene ein - 349 gibt es.
Viele Oppositionelle, darunter die Anhänger des inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny, sind in Russland als Extremisten von der Justiz eingestuft. Memorial sieht sich durch das Führen einer Liste zu politischen Gefangenen dem Vorwurf ausgesetzt, „das Mitwirken in terroristischen und extremistischen Organisationen“ zu rechtfertigen.
Das sei falsch - erfasst würden Menschen, die aus politischen Gründen verfolgt würden, sagte die Memorial-Juristin Tatjana Gluschkowa.
Den scgarfen Wind Russlands gegen Menscherechtsaktivisten bekam vor einigen Tagen auch wieder der Historiker Juri Dmitrijew zu spüren. Der 65-Jähriger ist für seine Forschungen zu den Verbrechen der Stalinzeit bekannt - und machteb sich dabei offenbar in Moskau viele Feinde.
Dann wurde er wegen angeblichen Missbrauchs seiner Adoptivtochter angeklagt, dann verurteilt, dann freigesprochen - dann erneut zu Haft verurteilt. Vor einigen Tagen wurde nun seine Haft auf 15 Jahre verlängert. Menschenrechtler erhoben schärfsten Protest: Seine Verurteilung sei politisch motiviert. Auch Memorial beharrte: Dmitrijew sei "völlig unschuldig".