Politik/Ausland

"Riss geht mitten durch Gesellschaft"

Um Andalusien geht es eigentlich überhaupt nicht an diesem Vormittag in einer gesichtslosen Mehrzweckhalle in Hospitalet, einem Industrieviertel am Rand von Barcelona. Und doch bemühen die Redner bei dieser Wahlkampfveranstaltung der liberalen Partei Ciudadanos ständig Spaniens tiefen Süden und ihre Beziehungen dorthin. Spitzenkandidatin Ines Arrimadas erzählt vom Platz in ihrem Herzen, den die Fahne Andalusiens immer haben werde – und erntet dafür tosenden Applaus und manche Träne bei den 5000 Zuschauern. Denn Arrimadas hat etwas gemeinsam mit den meisten Menschen, die hier versammelt sind: Ihre Familie kam einst aus Andalusien hierher nach Katalonien als arme Gastarbeiter.

Andalusische Wurzeln

Familien wie ihre sind in diesen Arbeitervierteln in den Vororten Barcelonas die Mehrheit. Es ist eine Mehrheit, die sich bis heute mindestens ebenso als Spanier wie als Katalanen fühlt, und die deshalb mit der Idee von einer Nation Katalonien, die sich von Spanien unabhängig erklärt, wenig anfangen kann. Und um diese Unabhängigkeit geht es eigentlich, wenn die wohlhabende Industrieregion übermorgen, Donnerstag, ihr Parlament wählt. In Katalonien gibt es derzeit kein anderes Thema, erzählt ein Bürgermeister aus dem hiesigen Industrieviertel dem KURIER: "Das hat die Familien zerrissen, Freunde, Beziehungen."

Die Eskalation hat Anfang Oktober die damalige Regionalregierung – eine Koalition aus Separatisten – eingeleitet, als sie ein Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens durchführte. Dass Spaniens Höchstgericht, das dieses als Verstoß gegen die Verfassung und damit illegal erklärte, ignorierte man. Die Regierung in Madrid reagierte mit voller Härte, schickte die Polizei vor die Wahllokale, ließ auf jene, die sich zu den Urnen wagten, einschlagen und steckte danach die Führer der Regionalregierung ins Gefängnis. Regionalpräsident Carles Puigdemont flüchtete ins Exil nach Belgien, betreibt nun von dort aus seinen Wahlkampf.

Wenig überraschend wird der mit totaler ideologischer Härte geführt. Die Fronten zwischen den Separatisten und den Pro-Spaniern sind völlig verhärtet. Kompromisse, einst eine Spezialität der katalanischen Regionalregierung im Umgang mit Madrid, sind außer Sicht. Wenn bei TV-Debatten die Parteiführer beider Gruppen aufeinander treffen, wirft man einander gegenseitig vor, an der Eskalation schuld zu sein, und den Streit für eigene politische Zwecke zu missbrauchen.

"Desinfizieren"

Arrimadas, die mit ihren Ciudadanos derzeit die stärkste pro-spanische Partei ist, spricht vom Staatsstreich, den die Separatisten versucht hätten. Diese wollten mit ihrem Unabhängigkeits-Kurs nur ihre eigene korrupte Politik vergessen machen. Das "Mono-Thema" Unabhängigkeit, appelliert sie, müsse endlich vom Tisch, damit sich Katalonien endlich wieder um seine eigentlichen Probleme kümmern könne.

Für die Separatisten ist das nichts als eine Finte Madrids, das Katalonien auch in Zukunft weiter unterdrücken und ausrauben wolle. Die spanischen "Faschisten" sind daher der ständig präsente Lieblingsfeind bei den Wahlkampf-Veranstaltungen der Separatisten-Parteien wie der ERC, der derzeit stärksten Fraktion. "Desinfizieren" müsse man Katalonien von diesen Invasoren, so heizen die Redner dort die Stimmung an. "Spanien beraubt uns" und " Freiheit" wird in Sprechchören skandiert.

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Von den Besuchern bekommt man auch im persönlichen Gespräch am Rande der Veranstaltung wenig anderes zu hören als alte Geschichten von der Unterdrückung durch Spanien, die meist aus der Zeit der faschistischen Franco-Diktatur stammen. Da erinnern sich ältere Herren an die Zeiten als man katalanische Fahnen unter dem Bett verstecken musste.

Angst vor Familienfest

Umso eifriger lässt man die jetzt wehen, viele Hauswände sind mit der Estelada, der inoffiziellen Fahne der unabhängigen Nation Katalonien, zugehängt. Anderswo flattert umso eifriger die spanische Flagge – gelegentlich treffen beide Fahnen an einer Hausfassade, an den Fenstern benachbarter Wohnungen aufeinander. Da fällt es leicht die Schreckensgeschichten zu glauben, die man derzeit überall in Katalonien hört: Von Familien, in denen man sich vor den Weihnachtsfeiertagen fürchtet, weil da unweigerlich das eine Thema mit am Tisch Platz nehmen werde, das eine Thema, über das man in einigen Firmen schon jetzt Sprechverbot erteilt hat, um den Frieden nicht zu gefährden.

"Der Riss geht wirklich quer durch die Gesellschaft" meint auch ein neutraler, aber bestens informierter Beobachter in Barcelona, Österreichs Handelsdelegierter Andreas Schmid: "Das ist ein tief sitzender Konflikt, der wird dieses Land noch lange beschäftigen."