Politik/Ausland

Putins Macht: "Die Russen sind gewohnt zu leiden"


Winston Churchill soll oft gerätselt haben, was die Generäle in Moskau antreibt. Einer Sache war er sich aber sicher. "Ich bin überzeugt, dass sie nichts so sehr bewundern wie Stärke und nichts mehr verachten als Schwäche, insbesondere militärische Schwäche", sagte der britische Premierminister.

Auch wenn Churchill damals mit einem Riesen-Gebilde namens Sowjetunion zu tun hatte und westliche Regierungschefs nun dem Russland des Wladimir Putin gegenüberstehen: Churchill hätte auch heute Recht. Putin, der am Sonntag für sechs weitere Jahre zum Präsidenten gewählt werden will (und wird), hat in den vergangenen Jahren geopolitische Fakten geschaffen, und er scheut dabei nicht vor militärischen Interventionen zurück. Die Annexion der Halbinsel Krim 2014, der Militäreinsatz in Syrien seit 2015 und das Eingreifen in Georgien 2008 (Südossetien, Abchasien) machen das ziemlich deutlich.

Das forsche Auftreten auf der Weltbühne wirkt aber auch nach innen. Vor allem die Krim-Besetzung in der Ukraine, die Putin für seine Landsleute als große Heimholung inszenierte, weckte bei vielen den Nationalstolz. "Die Armee ist ein Bindeglied für die russische Identität", sagt Walter Feichtinger, Leiter des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement an der Landesverteidigungsakademie, zum KURIER. Russland erstreckt sich über 17 Milionen km² und elf Zeitzonen, da ist Identitätsstiftung bitter nötig.

Putins größte Angst

Selbst Putin kann jedoch den Widerspruch zwischen weltpolitischen Muskelspielen und wirtschaftlichen Problemen im eigenen Land nicht verdecken. In seiner Rede an die Nation am 1. März berichtete Putin dem Volk daher nicht nur von russischen Raketen, die angeblich jeden Abwehrschirm der Welt überwinden können, sondern auch von 20 Millionen unter Armut leidenden Menschen in Russland, deren Zahl er in der nächsten Wahlperiode halbieren wolle. "Dass er dies will, ist auch glaubwürdig und nachvollziehbar", sagt Militärstratege Feichtinger, "weil Putins größte sicherheitspolitische Angst eine sogenannte Farbenrevolution wie in Georgien oder der Ukraine ist." Ein Sturz des Regimes von außen - getragen von einer unzufriedenen Bevölkerung.

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Der wirtschaftliche Aufschwung lässt auf sich warten, so müssen militärische Machtdemonstrationen den Bürgern ein Gefühl der nationalen Größe vermitteln. Die Sichtweise des Kreml auf die Welt gilt als geprägt von der Zeit des Kalten Krieges. Die ehemaligen Satellitenstaaten der UdSSR sieht man als logische Einflusszone, noch sensibler ist man bei den ehemaligen Sowjetrepubliken. Letztere werden in Russland "Nahes Ausland" genannt. Dass sich die Nato nach Osten - etwa inklusive der baltischen Staaten - ausgedehnt hat, gefällt Russland überhaupt nicht.

Schwäche der EU ist Putins Stärke

"Bei der Ukraine und Georgien hat Russland darauf beharrt, dass dies nicht sein darf", sagt Feichtinger. "Dort hat Russland militärisch Fakten geschaffen nach dem Motto: 'Entschlossenheit siegt' oder 'Wer wagt, gewinnt'." Eine Nato-Mitgliedschaft der beiden Länder sei durch das russische Vorpreschen auf absehbare Zeit undenkbar. Mit dem Einmarsch in Teilen Georgiens und der Krim-Annexion zeigte Putin dem Westen seine roten Linien. Die postsowjetischen Staaten im Westen und Südwesten Russlands wurden und werden vom Kreml als strategisches Vorfeld eingestuft.

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Auch der Militärstratege Gerald Karner attestiert Putin "eine sehr traditionelle Sicht" auf die Außenpolitik, "die im Wesentlichen von geopolitischen Überlegungen bestimmt ist". Die Stationierung von Truppen in Territorien nahe Russland oder gar die Erweiterung der Nato werde in Moskau "als Bedrohung gesehen".

Im Idealfall profitiert Putin durch seine militärischen Operationen doppelt, sowohl außen- als auch innenpolitisch. Die Krim etwa hat als Hauptstützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte geostrategische Bedeutung. "Zugleich konnte Putin bei seiner eigenen Bevölkerung Putin mit der Krim punkten", sagt Karner zum KURIER. Russland nütze dabei auch die Zögerlichkeit anderer Staaten aus, meint Feichtinger. "Seit der Krim-Besetzung hat die EU sicher nicht an Stärke gewonnen, Russland dafür an Entschlossenheit zugelegt."

Waffen-Testfeld Syrien

Auch in Syrien habe Russland konsequent seine Interessen verfolgt, sagt Feichtinger. Die russische Föderation habe heute nicht mehr bloß einen Marinestützpunkt im Mittelmeer, sondern auch einen "sehr leistungsfähigen Luftwaffenstützpunkt (Hmeimim, Anm.)". Baschar al-Assad und sein System seien für Putin nicht zentral, sondern die Beziehungen zu Syrien. Ein neues syrisches Regime werde ebenfalls gute Beziehungen zu Russland pflegen, sagt Feichtinger.

Außerdem: "Russland hat in diesem Krieg einfach unglaublich viele Erfahrungen gesammelt. Einerseits gewann die Luftwaffe neue Erkenntnisse, andererseits probierten die Russen alle möglichen Waffensysteme im scharfen Schuss aus." Und: "Putin denkt bestimmt auch an den Export seiner Rüstungsindustrie. Der Syrien-Einsatz wird in Zukunft ein Verkaufsargument sein."

Nationale Kränkungen

Der Syrien-Krieg ist in Russland aber deutlich weniger beliebt als die historisch aufgeladene Krim-Annexion vor vier Jahren. Im Jahr 2016 sind die Militärausgaben Russlands laut Stockholm International Peace Research Institute (Sipri) auf 5,3 Prozent des BIP gestiegen (2010 lagen sie noch bei 3,8 Prozent). Militärische Supermacht und wirtschaftliche Ohnmacht in der breiten Masse, verträgt sich das?

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Der deutsche Historiker Karl Schlögel hat das Buch "Das sowjetische Jahrhundert" geschrieben, im MagazinSpiegel sagte er kürzlich: "Alle wissen, dass die militärische Machtdemonstration auf der globalen Bühne Russland, das sich neu aufstellen muss, nicht wirklich weiterbringt. Die Kehrseite des nationalen Hypes, der mit der Krim und der Ukraine verbunden war, ist eine tiefe Resignation, eine Fortsetzung der Kränkung, dass die Weltmacht, die ihre Flugzeuge und Raketen nach Latakia in Syrien schicken kann, nicht in der Lage ist, daheim jene elementare Formen von Normalität und Wohlstand herzustellen, die inzwischen Millionen Russen auf ihren Auslandsreisen gesehen haben."

Anderer Ausgangspunkt als im Westen

Doch die nationalistische Grundstimmung dürfte vorläufig noch mehr wiegen als die wirtschaftliche Unzufriedenheit. "Die russische Bevölkerung kommt von einem anderen Ausgangspunkt als die westlichen Gesellschaften. In der breiten Masse ist es den Menschen auch früher nicht gut gegangen. Diese Leidensfähigkeit gemeinsam mit dem Patriotismus führt dazu, dass sich innenpolitisch erst einmal nicht viel ändern wird", prognostiziert Ex-Brigadier Karner, heute Geschäftsführer des Informationsdienstleisters Aventus GmbH, für die Wahl am Sonntag. Natürlich auch mangels zugelassener Alternativen.

Auch Militärexperte Feichtinger sieht in Russland eine ganz andere Langmut bei wirtschaftlichen Flauten als in Westeuropa: "Es klingt zynisch, ist aber eine Erklärung: Die Russen sind gewohnt zu leiden."