Politik/Ausland

"Wer ertrinken will, ist nicht zu retten"

"Wer ertrinken will, ist nicht zu retten." Es war die mit Abstand kürzeste Antwort auf die insgesamt knapp hundert Fragen, die Wladimir Putin in seiner gestrigen Bürgersprechstunde beantwortete. Eine Zwölfjährige hatte wissen wollen, wem der Kremlchef beistehen würde, sollten die Präsidenten der Türkei und der UkraineRecep Tayyip Erdoğan und Pjotr Poroschenko – gleichzeitig in Seenot geraten. Ungeachtet aller Probleme sei Russland dennoch "bereit, die Hand der Freundschaft jedem zu reichen, sofern er das will".

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Bei seinem Amtskollegen in Kiew war Putin sich so sicher nicht. Moskau habe all seine Verpflichtungen aus den Minsker Abkommen erfüllt, in Kiew dagegen würde die Umsetzung „hängen“. Die OSZE sollte die Zahl der Beobachter in der Ostukraine erhöhen und - falls nötig - mit Schusswaffen ausstatten, um einen totalen Waffenstillstand durchzusetzen. Vor allem aber müsste der Westen seinen Einfluss auf die Regierung in Kiew geltend machen. Ausdrücklich lobte Putin Barack Obama, der Poroschenko am Rande des Atomgipfels in Washington die Bedingungen für einen Milliarden-Kredit diktierte, darunter mehr Tempo bei Minsk zwei.

Durchaus versöhnlich klang auch, was der Kremlchef auf die Frage einer anderen, ebenfalls sehr jungen Schülerin, zu sagen hatte. Die hatte ihren Vater mit den Worten zitiert, mit Amerika könne nur Putin fertig werden. Russland, so dieser, müsse nicht mit Amerikas, sondern mit seinen eigenen Problemen fertig werden.

Infotainment-Spagat

Gelächter, Szeneapplaus. Souverän Volk will nicht nur informiert, sondern auch unterhalten werden. Putin, der gestern bereits zum vierzehnten Mal auf Fragen antwortete, die den Menschen zwischen Kamtschatka und Kaliningrad unter den Nägeln brennen, bekam nicht nur das Infotainment-Spagat sauber hin. Elegant nahm er auch eine andere Hürde: Wie verbreite ich bei brisanten Fragen Optimismus und Zuversicht, ohne mich durch konkrete und kostspielige Zusagen festzulegen und was kann ich meinen Wählern an bitteren Wahrheiten zumuten?

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Denn anders als bei Putins alljährlichen Pressekonferenzen geht es bei der Hotline traditionell vor allem Innenpolitik, Wirtschaft und Soziales. Die Bandbreite war immens: Korruption und Business, bezahlbarer Wohnraum, die Fußball-WM 2018, pünktliche Zahlung von Löhnen, Gehältern und Renten, schlechte Straßen, Bildung und Gesundheit. Die Preise in den Apotheken seien so inzwischen so hoch wie in Juwelierläden, klagte ein Rentner.

1,5 Millionen Fragen

Als Zuschauer waren weit über tausend handverlesene Gäste geladen, darunter auffallend viele Beamte und Offiziere. Schon vor Beginn der Hotline waren im Call-Center mehr als 1,5 Millionen Fragen eingegangen. Erstmals konnten sich die Bürger über den russischen Facebook-Analog Vkontakte per Video-Anruf direkt an ihren Präsidenten wenden. Davon machten vor allem Russen unter 30 Gebrauch. Wie schon in den Vorjahren waren das staatliche Fernsehen und der staatsnahe Erste Kanal wieder mit Satelliten-Schüsseln in mehreren Regionen präsent und diese durch Video-Konferenzschaltung mit dem Kongresszentrum "Gostinny dwor" in Moskau verbunden, wo Starjournalisten beider Sender die Veranstaltung moderierten.

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Gleich zu Beginn ging die virtuelle Reise auf die Insel Tuzla, eine der acht Baustellen für die Brücke, die die Schwarzmeerhalbinsel Krim mit dem russischen Festland verbinden soll. 2019 soll es soweit sein, dann, versprach Putin, werde auch er auf der Krim "ein paar Tage" Urlaub machen.

Vor allem dem Russland-Beitritt der der Krim sind die hohen Zustimmungsraten geschuldet, die Putin trotz Wirtschaftskrise weiterhin einfährt Ob er 2018 für eine weitere Amtszeit kandidieren wird, ließ er offen. Zuvor hatte er eingeräumt, mit einer Frau als Präsidentin würde Russland womöglich besser fahren.