Haft für Kreml-Kritiker: 130 Festnahmen bei Demo
Von Elke Windisch
Wollte Alexei Nawalny provozieren, oder ist er eine unverwüstliche Frohnatur? Beobachter sind sich uneins, wie sie die Bilder deuten sollen, die den Kremlkritiker nach der gestrigen Urteilsverkündung in Siegerlaune zeigen.
Denn der Spruch, den Nawalny eine Schweinerei nannte, ist alles andere als ein Sieg: Dreieinhalb Jahre Haft. Auf Bewährung zwar, doch daraus könnten insgesamt fünfzehn Jahre Straflager werden. Denn der Staatsanwalt hatte für ihn zehn und für seinen Bruder Oleg acht Jahre Haft beantragt und will in Berufung gehen. Setzt er sich in zweiter Instanz durch, werden auch die fünf Jahre Bewährung, die Alexei 2013 kassierte, in ein reales Strafmaß umgewandelt. Weil er dann als Rückfalltäter gilt.
Erinnerungen an Chodorkowski
Die Richterin focht das nicht an. Denn der eigentliche Prozessgegenstand waren nicht die angeblich überhöhten Logistik-Rechnungen, sondern die offenen Rechnungen, die der Kreml mit seinem Widersacher Nawalny hat. Auf einem spendenfinanzierten Internetportal prangert er die krassesten Fälle von Bereicherung und Zweckentfremdung von Staatsgeldern an. Mit Namen und Adresse. Darunter Freunde von Kremlchef Wladimir Putin.
Vor allem aber war er Mastermind und einer der Führer der Massenproteste gegen die nicht ganz lupenreinen Parlamentswahlen 2011 und gegen Putins Rückkehr in den Kreml im Mai 2012.
Nawalny kandidierte bei der Oberbürgermeisterwahl in Moskau, und die sollte, auch um die Fälschungsvorwürfe bei den Dumawahlen 2011 zu entkräften, sauber ablaufen. Nawalny fuhr mit 27 Prozent das mit Abstand beste Ergebnis für die Opposition in der Ära Putin ein. Das schmeichelte zwar seinem brennenden politischen Ehrgeiz, machte aber gleichzeitig klar, wie begrenzt sein reales Gefährdungspotenzial für das System ist.
Den meisten ist er egal
Dass sie ohnehin auf die Mittelschicht in den Großstädten beschränkt blieb, hat Nawalny mitzuverantworten, der Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit ignorierte. Auch deshalb ist schwer nachvollziehbar, warum Russlands Justiz sich erneut dem Vorwurf der Abhängigkeit aussetzt. Um neue Proteste zu verhindern, hatte das Gericht Montag die ursprünglich für den 15. Jänner geplante Urteilsverkündung vorverlegt. Unmittelbar vor dem Neujahrsfest, so offenbar das Kalkül, hätten die Hauptstädter anderes zu tun.
Interessant ist die Berichterstattung des Propaganda-Fernsehens Russia today im Internet (deutsch): Der Zugang zur Seite, die zur Unterstützung Nawalnys aufrief, sei auf Facebook für russische User eingeschränkt worden. Nawalny sei, entgegen anderslautenden Berichten, nicht für sein politisches Engagement sondern wegen Unterschlagung und Geldwäsche angeklagt gewesen. Und überhaupt: "Was die Sperrung von Websites angeht, liegt Deutschland in der Statistik vor Russland."
Die Gegner Putins und ihr Schicksal: