Politik/Ausland

"Ihr demonstriert für einen Despoten"

Sinem ist extra nach Köln geflogen für heute, aus ihrer Heimat, der Türkei. "Ich will mein Land auch von Deutschland aus unterstützen", sagt sie auf Türkisch, Deutsch versteht sie nicht. Ihre Freundin, die wie Sinem eine türkische Flagge umgebunden hat, übersetzt für sie; sie ist aus Großbritannien hergekommen. "Die politische Situation in der Türkei muss stabil bleiben – und das geht nur mit Erdogan."

Zwischen 30.000 und 40.000 Menschen sind es, die am Sonntag nach Köln gekommen sind, sie tragen Schilder mit Sprüchen wie "Erdogan – Retter der Menschenrechte" oder "Ja zur Demokratie, nein zum Staatsstreich" in den Händen. So lautet auch das offizielle Motto der Großdemo, die die UETD organisiert hat, der deutsche Lobbyverein des türkischen Präsidenten. Gekommen sind weniger als ertwartet; am späten Nachmittag leert sich das Gelände zusätzlich wegen eines sintflutartiger Regens.

Keine Erdogan-Rede

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Die Redner auf der Bühne sind trotzdem zufrieden. "Ich grüße euch, die ihr seit 50 Jahren nicht assimiliert wurdet", ruft der Einpeitscher, er spielt damit auf eine Rede an, die Erdogan, damals Premier, 2008 in Köln gehalten hat. "Assimilation ist ein Verbrechen", rief er seinen Anhängern damals zu, heute muss er seine Botschaft von anderen überbringen lassen. Das Bundesverfassungsgericht hat kurz vor der Demo verboten, eine Rede Erdogans live zu übertragen; als Vertretung ist zumindest Akif Cagatay mit dabei, der in Deutschland geborene türkische Sportminister. Während er hinter der Bühne davon spricht, dass die Veranstaltung "den Zusammenhalt" stärken soll, ertönen im Publikum "Gott ist groß"-Rufe; unter die Demonstranten haben sich rechtsextreme Türken gemischt. Von der Bühne hallt der Ruf nach der Todesstrafe für die Putschisten, die Menschen unten stehen in einem Fahnenmeer, neben den vielen türkischen sieht man auch ein paar deutsche. "Alles fürs Vaterland", rufen einige, und es ist klar, dass sie damit nicht Deutschland meinen.

"Ihr demonstriert für einen Despoten!", schreit ein junger Mann an der Absperrung; sein Ruf geht im Jubel der Massen unter. Dass gerade der türkische Präsident den Deutschen Defizite bei der Meinungsfreiheit unterstelle, sei geradezu ironisch, sagt er noch, bevor er weitergeht; er ist auf dem Weg zur linken Gegendemo am anderen Rheinufer. Dort haben sich SPD, Linke und Grüne zusammengetan, um gegen Erdogans Machtdemonstration auf die Straße zu gehen, parallel dazu läuft eine Neonazi-Demo mit ein paar Hun-dert Teilnehmern. Die Polizei versucht mit 2700 Mann, eine Eskalation zu verhindern.

Propaganda

"Das ist alles nur Propaganda von Erdogans Gegnern", sagt der 24-jährige Mustafa, der gut 20 rote Schals mit dem Namen des Präsidenten um die Schultern gelegt hat – er meint damit die Gülen-Bewegung, die den Putsch ja organisiert haben soll. "Zehn Euro das Stück", sagt er lachend; Abnehmer für die Schals finden sich viele. Sie alle stimmen ihm zu bei dem, was er über die Meinungsfreiheit zu sagen hat: "In der Türkei ist nur verboten, was auch in Deutschland nicht rechtens ist." Dass kurz nach dem Putschversuch bereits Namenslisten bereitlagen, dass seither 18.000 Menschen in Haft genommen wurden, das alles wundert ihn nicht. "Das ist alles gerechtfertigt."

Woher er das weiß? Er informiere sich, sagt er; über türkische Medien hauptsächlich. Das ist bei den vielen so – das weiß Erdogans Regierung auszunutzen, schließlich sind die drei Millionen Deutschtürken die größte Gruppe an Wählern außerhalb der Türkei.

Recht ist das in der deutschen Politik freilich niemandem. Kritische Rufe kamen bisher aber nur aus der zweiten Reihe, man will es sich mit Ankara nicht verscherzen – noch immer nicht. Es ist fraglich, ob sich nach der Großdemo daran viel ändern wird.

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Die UETD ("Union Europäisch- Türkischer Demokraten") gilt als die Lobbying-Organisation von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und seiner AKP in zahlreichen Ländern Europas, in denen türkischstämmige Migranten leben.

Zu den wichtigsten Standorten der Organisation gehören Deutschland und Österreich.

Die UETD ist nicht nur für die Demo in Köln verantwortlich, sondern auch für zahlreiche andere Kundgebungen nach dem gescheiterten Putschversuch, auch in Österreich. Außerdem organisieren sie Auftritte Erdogans vor Auslandstürken, so auch den 2014 in der Wiener Albert-Schulz Halle.

Überblick

  • In Köln findet heute eine Demonstration von Erdogan-Anhängern statt.
  • Um 16:00 Uhr waren laut Polizei rund 20.000 Menschen zur Demo erschienen, die Lage sei "ruhig".
  • Die Polizei bereitete sich auf bis zu 30 000 Demonstranten und gewalttätige Ausschreitungen vor.
  • Bei der Demo darf keine Rede des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan übertragen werden.
  • Am Hauptbahnhof wurde eine Demonstration von rund 250 Rechtsextremen von der Polizei aufgelöst.
  • Zeitgleich zur Pro-Erdogan-Demo finden mehrere Gegendemonstrationen statt, darunter eine Kundgebung der rechtsextremistischen Partei Pro-NRW.
https://twitter.com/PolizeiKoeln/status/759681064113729536 Polizei NRW K (@PolizeiKoeln

In Köln hat am Sonntag die geplante Pro-Erdogan-Demonstration begonnen. Das Gelände am rechten Rheinufer im Stadtteil Deutz wurde von zahlreichen Polizisten bewacht. Insgesamt sind 2.700 Polizisten im Einsatz. Auch Wasserwerfer stehen bereit. Angemeldet sind vier Gegenkundgebungen, unter anderem von Rechtsextremisten.

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Am Nachmittag haben sich bei der türkischen Demonstration rund 20.000 Menschen eingefunden, überwiegend Anhänger des umstrittenen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Die Mitveranstalter rechnen noch mit weitaus mehr Demonstranten. Bülent Bilgi von der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) sagte, er rechne "mit 30.000 bis 50.000 Teilnehmern". Die Demonstranten reisten unter anderem auch aus Finnland, Belgien, Großbritannien, Österreich und der Schweiz an. Die UETP steht der türkischen Regierungspartei AKP nahe.

Zu der Kundgebung - deren offizielles Thema der vereitelte Militärputsch in der Türkei ist - war auch der türkische Sportminister eingeladen. Bis zuletzt gestritten wurde um eine Live-Schaltung zu Präsident Erdogan. Die Anmelder der Kundgebung riefen dazu am Samstag sogar noch das Bundesverfassungsgericht an. Sie wollten erreichen, dass das Verbot einer solchen Übertragung durch die Kölner Polizei gekippt wird.

Schweigeminute und "ruhige Lage"

"Die Lage ist relativ ruhig", sagte der Kölner Polizeipräsident Jürgen Mathies der Deutschen Presse-Agentur. In der Innenstadt sei es zu kleineren Reibereien zwischen Nationaltürken und Kurden gekommen. Im Übrigen müsse man abwarten, wie es weitergehe, sagte Mathies.

Mit einer Schweigeminute gedachten die Teilnehmer der Pro-Erdogan-Kundgebung in Köln am Sonntag der Opfer des gescheiterten Militärputsches vor zwei Wochen in der Türke. Zugleich wurde der Opfer der jüngsten Terroranschläge in Frankreich, Deutschland und der Türkei gedacht.

Nach der Schweigeminute wurde eine Erklärung verlesen. Darin hieß es, man versammle sich, um für "Rechtsstaatlichkeit, Einheit, Frieden und Unabhängigkeit einzustehen". Die Erklärung haben laut mitveranstaltender Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) rund 100 Organisationen unterzeichnet, darunter auch der türkisch-islamische Dachverband Ditib und die Türkisch-Deutsche Industrie- und Handelskammer. "Alle Staaten, Organisationen, Parteien und (...) Politiker der Welt" wurden aufgefordert, "solidarisch zum türkischen Volk" und der Regierung in Ankara zu stehen.

Sportminister: "Geschlossenheit gegen die Putschisten"

Die Großkundgebung ist nach Worten von Sport- und Jugendminister Akif Cagatay Kilic als Signal der Geschlossenheit gegen die Putschisten zu verstehen.

"Wir sind hier, weil unsere Landsleute in Deutschland für Demokratie und gegen den versuchten Militärputsch in der Türkei einstehen", sagte der in Deutschland geborene Minister am Sonntag vor Journalisten in der Rhein-Metropole. "Die Botschaft, die von der Veranstaltung ausgehen soll, ist, dass in der Türkei alle Parteien und NGOs (Nichtregierungsorganisationen, Anm.) zusammen gegen den Putsch stehen und die Demokratie verteidigen wollen."

Live-Schaltung zu Erdogan verhindert

Doch vergeblich: Die Karlsruher Richter bestätigten am Abend in letzter Instanz das Verbot. Zum einen entspreche die Vollmacht der Rechtsvertreter nicht den gesetzlichen Erfordernissen, hieß es. Zum anderen sei nicht ersichtlich, dass die Entscheidungen der Vorinstanzen Grundrechte der Veranstalter verletzt hätten. (Az.: 1 BvQ 29/16)

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Polizeipräsident Jürgen Mathies hatte zuvor erklärt, er wolle eine Zuschaltung Erdogans unbedingt verhindern, "um zu vermeiden, dass es zu einer hochemotionalisierten Lage kommt". Anders sieht es gemäß seiner Position der Sprecher des türkischen Präsidenten. Dass eine Live-Schaltung verboten wird, sei ein "inakzeptabler Zustand", sagte Ibrahim Kalin. Man frage sich, was der "wahre Grund" dafür sei, dass die deutschen Behörden eine Ansprache Erdogans an seine Anhänger verhindere.

Ausschreitungen werden befürchtet

Zeitgleich zu der um 15 Uhr beginnenden Kundgebung startete ein Demonstrationszug von Rechten durch die Innenstadt. Die Polizei hatte diesen Marsch untersagt, doch die Gerichte haben das Verbot aufgehoben. Hinter dem Demonstrationszug steht unter anderem die rechtsextremistische Splitterpartei Pro NRW. Die Polizei befürchtete Ausschreitungen.

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Außerdem gab es noch drei andere Gegenkundgebungen. Eine davon richtete sich auch gegen den Aufzug der Rechtsextremisten. Die Polizei erwartete, dass dazu auch Autonome anreisen.

Türkischer Sportminister erwartet

Deutsche Politiker haben sich kritisch über einen Auftritt türkischer Minister in Köln geäußert. FDP-Chef Christian Lindner forderte die Bundesregierung auf, "alle rechtlichen und diplomatischen Möglichkeiten zu nutzen, um die Einreise dieser Politiker zu unterbinden".

Als Redner bei der Kundgebung wird unter anderem der türkische Sportminister erwartet. Einen geplanten Auftritt des türkischen Außenministers habe er verhindern können, sagte Mathies. Auf der Großkundgebung soll eine Deklaration verlesen werden. In der vorab veröffentlichten Erklärung wurde daran erinnert, dass bei dem gescheiterten Miliärputsch vom 15. Juli in der Türkei mehrere Hundert Sicherheitsbeamte und Zivilisten ermordet worden seien. "Sie haben ihr Leben im Kampf für die Demokratie und Freiheit in der Türkei gelassen", heißt es weiter in der Deklaration.

Kritik wurde in der Erklärung an der Berichterstattung über den Putschversuch geübt. Medien werden "einseitige und voreingenommene Berichte" vorgehalten, in denen "sogar Trauer" über den gescheiterten Putsch mitschwinge.

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In der Erklärung wurden zugleich die jüngsten teils extremistischen Gewalttaten in Deutschland und Europa verurteilt. "Ganz gleich, aus welcher Motivation heraus diese abscheulichen Taten begangen wurden, sie sind eine Schade für unsere freie und friedliche Zivilisation."

In der Türkei gilt nach dem gescheiterten Putschversuch ein Ausnahmezustand. Nach offiziellen Angaben wurden zudem mehr als 18.000 Menschen festgenommen und Zehntausende Staatsbedienstete suspendiert.