Politik/Ausland

Pressestimmen zur Nahost-Eskalation: "Gefahr eines Bürgerkrieges wächst"

De Standaard (Brüssel)

„Israel dürfte die Hamas rasch in die Knie zwingen. Aber die wirkliche Lösung für die Überwindung der Gewalt liegt in Ostjerusalem und im Westjordanland. Israel hat das Recht auf Sicherheit. Und es besitzt die überwältigende militärische Macht, um sie zu erzwingen. Die Palästinenser haben das Recht auf Land und Selbstbestimmung. Aber sie können lediglich unter Hinweis auf internationale Abkommen darum bitten. In diesem asymmetrischen Konflikt ist eine stärkere Botschaft aus Europa und Belgien angebracht, nämlich die unzweideutige Verurteilung jeder weiteren Einverleibung von Grund und Boden durch israelische Siedler in den besetzten Gebieten.“

Tages-Anzeiger (Zürich)

„Innerhalb Israels sind die Araber mit ihrer gefühlten Autonomie den ultraorthodoxen Juden ähnlich, allerdings mit einem großen Unterschied: Sie haben praktisch keinen Zugang zur Macht, während die Parteien der Frommen fast in jeder bisherigen Koalition ihre Klientelpolitik betreiben konnten. Die arabische Minderheit dagegen ist vom Staat seit je vernachlässigt worden. In der Ära Netanyahu kam noch ein weiteres Element dazu: gezielte Hetze und Ausgrenzung sowie ein 2018 verabschiedetes Nationalstaatsgesetz, das die israelischen Araber zu Bürgern zweiter Klasse machte.

Die von Netanyahu betriebene Spaltung ist mit dafür verantwortlich, dass nun arabische und jüdische Mobs auf den Straßen Chaos verbreiten. (...)
Rund um Gaza werden irgendwann die Waffen schweigen. Wie schon bei den früheren Kriegen zwischen der israelischen Armee und der palästinensischen Hamas werden sich die beiden Seiten dann weiter feindlich, aber getrennt gegenüberstehen. In Israel jedoch müssen sie weiter zusammenleben und dringend eine neue Balance finden.“

Pravda (Bratislava)

„Oft wird die Absicht mancher arabischer Länder erwähnt, Israel ins Meer zu drängen. Aber weniger spricht man über die Nachfahren jener 750 000 nicht-jüdischen Einwohner Palästinas, die gezwungen sind, in Flüchtlingslagern zu leben oder in der ständigen Gefahr einer Vertreibung aus ihren Häusern, auf die sie aufgrund ethnischer Gesetze Israels weniger Anrecht haben als jeder jüdische Siedler vom anderen Ende des Planeten. Die Palästinenser existieren für die Welt nur, wenn über terroristische Angriffe auf einen Staat berichtet wird, der gegenüber Menschen ohne Bürgerrechte eine harte Kolonisierungspolitik betreibt.

Eine Politik der Stärke ist aber nichts anderes als die bewusste Erhaltung eines Zustandes, in dem der Konflikt nie endet. (Der israelische Ministerpräsident Benjamin) Netanjahu will den Konflikt offenbar gar nicht beenden. Denn sonst würde er nicht dessen wahre Ursache verschleiern, nämlich die 54-jährige Besetzung, die zu Zuspitzung von palästinensischem Nationalismus ebenso wie zu Vertreibung und Enteignungen von Grund und Wasserquellen geführt hat, zu einem Zustand, den sogar die Organisation Human Rights Watch als Apartheid bezeichnete. Statt Fehler der Vergangenheit zu korrigieren, setzte Netanjahu auf Ausgrenzung, Judaisierung und die Zusammenarbeit mit offenen Rassisten im Parlament.“

The Telegraph (London)

„Um zu verhindern, dass die Gewalt völlig außer Kontrolle gerät, ist es von entscheidender Bedeutung, dass US-Präsident Joe Biden sich stärker mit der israelisch-palästinensischen Problematik auseinandersetzt. Seine Bemerkung nach einem Telefonat mit dem israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu, wonach er ein Ende der Gewalt eher früher als später erwarte, schien mehr Wunschdenken als eine realistische Einschätzung der Situation zu sein. Wenn Biden es mit der Beendigung der Feindseligkeiten wirklich ernst meint, sollte er seine Energie auf die Lösung der israelisch-palästinensischen Spannungen konzentrieren, anstatt seine Zeit mit dem Versuch zu verschwenden, das fehlerhafte Atomabkommen mit dem Iran wiederzubeleben.“

Politiken (Kopenhagen)

„Der gewaltsame Konflikt der vergangenen Wochen kann sich schnell zu einem dezidierten Krieg entwickeln. Er hat gezeigt, dass es für Israel nicht möglich ist, die Palästinenser zu ignorieren. Sie wollen völlig verständlich nicht in Armut, Isolation und endloser Besatzung leben. Raketen nach Israel zu schicken und die Zivilbevölkerung zu treffen, wie es die Hamas aus Gaza tut, ist selbstredend völlig inakzeptabel. Aber Israel kann auf lange Sicht nicht als respektiertes Mitglied der Weltgemeinschaft gedeihen, während es gleichzeitig nun im sechsten Jahrzehnt die Palästinenser unterdrückt.

Wie der jetzige Konflikt endet, kann keiner sagen. Aber für Israel sollte die Krise ein für alle Mal zeigen, dass der derzeitige Kurs keinen Nutzen hat. Alle politischen, wirtschaftlichen und diplomatischen Erfolge sind auf Sand gebaut, solange die Besatzung andauert. Jetzt läuft Netanjahus Zeit hoffentlich bald ab. Lasst das auch das Ende der israelischen Illusion sein, dass die Palästinenser ignoriert werden können.“

Kommersant (Moskau)

„Die israelische Armee verlegt ihre Truppen an die Grenze zum Gazastreifen für den Fall, dass es einen Befehl für den Einmarsch von Bodentruppen geben wird. 16.000 Reservisten sollen eingezogen werden. In den vergangenen Tagen sind bei der Konfrontation zwischen Israel und den palästinensischen Bewegungen Hamas und Islamischer Dschihad auf israelischem Gebiet rund 2.000 Raketen eingeschlagen. In Israel starben sieben Menschen. In Gaza wurden im Ergebnis israelischer Luftschläge mehr als 100 Palästinenser getötet. Dabei wächst nun mit jedem Tag die Gefahr eines Bürgerkrieges zwischen der jüdischen und der arabischen Bevölkerung in Israel (...) Die Polizei schafft es nicht, die Sicherheit noch zu gewährleisten.“

Wall Street Journal (New York)

„Die hohe Anzahl an abgefangenen Raketen gibt der israelischen Führung mehr Flexibilität bei der Reaktion auf die Angriffe. Weniger israelische Opfer bedeuten weniger politischen Druck für eine vollständige Invasion des Gazastreifens oder für wahllose Luftangriffe, die Zivilisten töten könnten. Palästinensische Opfer sind ein Propaganda-Coup für Terroristen, und die Zurückhaltung der Israelis rettet Leben und erweitert das Zeitfenster, in dem ihre Verteidigungskräfte handeln können, bevor sie aus dem Ausland opportunistisch verurteilt werden.

Falls die Raketenangriffe weitergehen, wird Israel schwierige Entscheidungen treffen müssen, wie sie gestoppt werden können. Israel muss auch eine Botschaft an den Iran und die verbündete Hisbollah im Libanon an seiner nördlichen Grenze schicken, die Zehntausende von Raketen hat. Unterdessen rettet Israels Raketenabwehr Leben und verringert vielleicht die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Eskalation.“