Politik/Ausland

Analyse: Frankreich hofft mit Macron auf Neustart

Frankreich hat seinen ersten parteilosen Präsidenten gewählt. Schon am frühen Abend strömten Tausende Anhänger von Emmanuel Macron zur Siegesfeier in den Vorhof des Louvre-Museums neben der berühmten Glaspyramide. Der liberal-soziale Polit-Aufsteiger lag laut ersten Schätzungen bei 62 bis 64 Prozent der Stimmen.

Seine Rivalin Marine Le Pen dürfte zwar mit einem vermutlichen Stimmenanteil von 36 bis 38 Prozent einen einmaligen Höchststand in der Geschichte ihrer Rechtsaußen-Partei, dem Front National" (FN), erzielt haben. Ihr Vater, Jean-Marie Le Pen, war bei der Stichwahl 2002 nur auf 17,8 Prozent gelangt. Trotzdem blieb sie deutlich unter ihren ursprünglichen Erwartungen, hatte sich doch die FN-Chefin phasenweise als künftige Präsidentin Frankreichs gesehen.

Macron, der mit seinem, vor wenigen Monaten noch schier unglaublichen Siegeslauf die meisten Polit-Beobachter und klassischen Parteienvertreter überraschte, hat allerdings damit zu kämpfen, dass, laut Umfragen, rund 52 Prozent seiner Wähler für ihn stimmten, nur um Le Pen zu verhindern – und nicht, weil sie von seinem liberal-sozialen Reformprogramm überzeugt wären.

Will Macron nicht auf eine symbolträchtige, aber eher machtlose Statistenrolle im Élysée-Palast beschränkt bleiben, muss er unbedingt bei den Parlamentswahlen im Juni (siehe Bericht rechts) eine ihm genehme Abgeordneten-Mehrheit schaffen.

Folge-Effekt?

Macron setzt auf den in Frankreich üblichen Folge-Effekt: Die Wähler neigen dazu, den gewählten Staatschef als ihre Führungspersönlichkeit zu betrachten und könnten daher bereit sein, ihm die nötige Mehrheit für die Umsetzung seiner Reformvorhaben bereit zu stellen. Eine Rolle spielt dabei auch die Angst vor einer verworrenen Lage durch eine andauernde Blockade zwischen Präsidenten und Regierung.

Andererseits verfügt Macron noch über keine Partei im herkömmlichen Sinn. Seine erst vor einem Jahr gegründete Bewegung EM ("En Marche!" (die selben Initialen wie sein Name) hat zwar Zehntausende ehrenamtliche Aktivisten in ihren Bann gezogen. Sie verfügt aber über keine regelrechte Verankerung. EM hat bereits Kandidaten für alle Wahlkreise nominiert, davon die Hälfte Frauen und Neu-Einsteiger aus der Zivilgesellschaft, die noch nie ein politisches Mandat ausgeübt haben. Das ist ein Vorteil, andererseits sind diese Personen im Gegensatz zu den Kandidaten traditioneller Parteien örtlich weniger oder gar nicht bekannt.

Die Regierung, die er noch vor den Wahlen nominieren wird, soll ebenfalls die Erneuerung verkörpern: die Hälfte der Ministerposten ist für politische Neulinge vorgesehen. Die andere Hälfte soll paritätisch mit Politikern, die aus der Sozialistischen Partei und dem bürgerlichen Lager kommen, besetzt werden. Aber auch da will Macron nur Persönlichkeiten akzeptieren, die ihre bisherige Partei zuvor verlassen haben – also kein koalitionäres Arrangement. Einzige Ausnahme: die kleine Zentrumspartei MODEM, deren Vorsitzender, Francois Bayrou, sich schon vor der Präsidentenwahl zum Bündnis mit Macron bekannt hatte.

Moral-Gesetz

Als allererste Maßnahme, noch vor den Parlamentswahlen, will Macron ein Gesetz zur "Moralisierung" der Politik beschließen lassen, dass in Hinkunft Parlamentariern verbieten solle, Verwandte anzustellen – nicht zuletzt eine Reaktion auf die Affäre des gescheiterten konservativen Kandidaten François Fillon, der Frau und Kinder für eine Scheinbeschäftigung als Parlamentsassistenten entlohnen ließ.

Am heikelsten ist aber das Vorhaben von Macron, per Dekret noch im Juli die französischen Arbeitsmarkt-Regeln weiter zu "vereinfachen" (so seine Definition) und innerbetriebliche Abkommen für eine flexiblere Arbeitszeit-Gestaltung zuzulassen. Die meisten Gewerkschaften sehen das als Aushebelung der Arbeits- und Kündigungsschutz-Bestimmungen und drohen mit Kampfmaßnahmen.

Heute, Montag, ist in Frankreich Feiertag (Gedenken an Kapitulation Hitler- Deutschlands am 8. Mai 1945). Macron wird bei den Zeremonien dem noch amtierenden Präsidenten François Hollande zur Seite stehen. Die Amtsübergabe dürfte am kommenden Wochenende stattfinden. Für Hollande ist das eine Genugtuung gepaart mit einem Wermutstropfen: Mit Macron zieht ein Politiker in den Élysée, der dem SP-Staatschef lange sehr nahe stand und diesen auch noch zuletzt klar würdigte. Macrons Eigenlauf trug allerdings dazu bei, die letzten Hoffnungen von Hollande auf eine neuerliche – und sowieso aussichtslose – Kandidatur zu begraben.

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