Politik/Ausland

Le Pen und Melenchon im Spagat um die EU

Sollte sich Marine Le Pen, wider allgemeinen Erwarten, im ersten Durchgang der französischen Präsidentenwahlen diesen Sonntag doch nicht für die anschließende Stichwahl (7.Mai) qualifizieren, dann wird man sich vielleicht an die Schlagzeile erinnern, mit der das Massenblatt „Parisien“ kürzlich ein Interview mit der Nationalistin coverte. „Marine Le Pen: ich will nicht das Chaos“, hieß es da in Balkenlettern.

Eine Politikerin, die so etwas überhaupt beteuern muss, hat ein Problem. Marine Le Pen hat den Austritt aus der EU, den sie bereits „Frexit“ getauft hat, und die Ersetzung des Euro durch eine „nationale Währung“ zu Angelpunkten ihres Programms gemacht. Das ist insofern logisch, als sie Frankreich auch gegenüber den bisherigen EU-Partnern protektionistisch abschotten möchte. An Stelle der EU will sie Frankreich – ähnlich wie Großbritannien mit dem „Commonwealth“ – wieder als eigenständige Macht mit Hilfe der ursprünglichen kolonialen Einfluss-Sphäre, namentlich in Afrika, auf der Weltbühne etablieren.

Bruch mit EU verklausulieren

Aber ein Teil ihrer eigenen Parteigenossen hegen diesbezüglich Zweifel und ein noch größerer Teil ihrer potentiellen Wähler fürchten bei einem EU- und Euro-Austritt das nämliche „Chaos“. Daher ist die im Ausland oft gehegte Annahme, Marine Le Pen würde vornehmlich mit Anti-EU-Parolen für sich werben, eine Übertreibung. Die Nationalistin verbirgt zwar nicht ihr Ziel, sie versucht aber den beabsichtigen Bruch mit der EU oft zu verklausulieren: sie spricht lieber von der „Wiederherstellung der Souveränität und Grenzen Frankreichs“, der „Bewahrung seiner Reichtümer und Identität“. Am Ende der von ihr beabsichtigen Verhandlungen mit Brüssel, so beruhigt sie, würde sowieso das Volk bei einer Abstimmung das letzte Wort haben.

Aber auch mit diesen Ankündigungen in Sachen EU geht Le Pen sparsam um. Bei ihren letzten Versammlungen rückte sie eher jenes Hauptmotiv in den Vordergrund, das in ihrer Bewegung unumstritten ist: sie versprach ein totales Einwanderungs-Moratorium (bis vor kurzem hatte sie noch jährlich 10.000 Zuwanderer akzeptieren wollen). Die Einwanderung habe den Terror nach Frankreich gebracht. Dann rief sie: „Mit mir hätte es weder die Terroristen des Bataclan (der Pariser Konzertsaal, in dem Dschihadisten 2015 ein Massaker verübten) gegeben, noch Mohamed Merah, der Mörder von Soldaten und jüdischen Kindern (Ein Franko-Algerier, der 2012 drei Kinder und einen Lehrer in einer jüdischen Schule sowie drei Soldaten erschoss in Toulouse und Umgebung erschoss).

Ihr radikaler Kontrahent, der Linkstribun Jean-Luc Melenchon, geht mit der Europa-Materie vergleichsweise vorsichtiger um, obwohl auch er eine frontale Kraftprobe mit Brüssel beziehungsweise Berlin anpeilt. Zuletzt beteuerte er allerdings, er wolle „weder aus der EU noch aus dem Euro aussteigen“. Und er sei „sicher, mit Madame Merkel verhandeln zu können“.

Melenchon auf Twitter: Maul zu, Frau Merkel!

Dabei hatte Melenchon in der Vergangenheit, bei seiner Kritik an der von Berlin verfochtenen EU-Sparpolitik, gelegentlich anti-deutsche Klischees bemüht (Le Pen übrigens auch). Er twitterte eine Botschaft, in der es auf Deutsch hieß: „Maul zu - Frau Merkel!“

Melenchon will mit einem besonders massiven Ausgabenprogramm der „sozialen und ökologischen Notlage“ begegnen. Damit, so behauptet er, würde er gleichzeitig die Wirtschaft ankurbeln. Für die dazu erforderlichen Kredite soll die EU-Zentralbank gerade stehen. Die aktuellen EU-Verträge über die Richtwerte des Defizit-Abbaus sollen wegverhandelt werden. Sollten die Verhandlungen scheitern, will Melenchon einen „Plan B“ zur Anwendung bringen: sprich den EU-Austritt.

Der grüne Europa-Politiker, Daniel Cohn-Bendit, der in Frankreich den liberalen Zentrumskandidaten Emmanuel Macron unterstützt, warnt vor Melenchons Haltung zur EU: „Das ist russisches Roulett. Der große Melenchon will Merkel befehlen: Auf die Knie! Da das nicht klappen wird, kommt mit Melenchon der Austritt“.

Aber der 72 jährigen Cohn-Bendit hat in Frankreich nur mehr wenig Gewicht. Der einstige Initiator des französischen Jugendaufstands vom Mai 1968, der anschließend die meiste Zeit in Deutschland gelebt hat, ist den heutigen, jüngeren Generationen zum Teil unbekannt. Während es dem 65 jährigen Berufspolitiker Melenchon einstweilen gelungen ist, sein vormaliges, altväterliches und eher orthodox-linkes Image zu vertuschen.

Keine roten Fahnen bei Melenchon

Rote Fahnen sind bei Melenchons Versammlungen nunmehr unerwünscht, er spricht fast genauso viel über „ökologische Planung“ und „Tierrechte“ wie über die Bekämpfung der „Finanzoligarchie“ durch höchste Besteuerung. Als einziger Kandidat will er die totale Umrüstung der Atom-Industrie auf alternative Formen der Energie-Erzeugung – ein Tabu-Bruch in Frankreich, wo fast 80 Prozent des Stroms von AKWs stammen, und auch von den KP-nahen Gewerkschaftern befürwortet werden.

Melenchon hat dank eines jungen Teams die Methoden der Bewegung von Bernie Sanders in den USA und von „Podemos“ in Spanien abgekupfert. Seine witzig inszenierten Auftritte auf „You-Tube“ haben ihn zum Star der jungen Web-User gemacht. Seine Webfreaks haben ein Video-Spiel entwickelt, den „Fiskal-Kombat“, indem Melenchon reiche Steuersünder jagt.

Während es Le Pen vorerst gelungen ist, bei den noch verbliebenen fix angestellten Arbeitern zu punkten, hat Melenchon einstweilen einen bedeutenden Teil der eher atypisch-beschäftigten und meistens jüngeren Arbeitnehmer und Jobsucher in seinen Bann gezogen.