Portisch: "EU-Kommissare haben kein Gespür"
Hugo Portisch will nicht Mister History genannt werden: „Nein, nein, bitte nicht“. Der bekannte Publizist und leidenschaftliche Kommentator der Weltpolitik und historischer Ereignisse, ist bescheiden: „Ich bin ein ganz gewöhnlicher Journalist, der seinen Beruf liebt und daher auch ernst nimmt.“ Sein Europa-Buch „Was jetzt“ und die Dokumentation Österreich I, die gerade im Sender ORF III läuft, sind ein Quotenhit.
KURIER: Herr Portisch, wie erklären Sie das starke Interesse der Menschen an der jüngeren Geschichte Österreichs?
Hugo Portisch: Die Jungen wollen immer wissen, was geschehen ist und wie es geschehen ist. Die 1. Republik war lange Zeit nahezu tabu, dann war der Anschluss tabu. Die jüngere österreichische Geschichte haben die Jungen mitbekommen. Die Dokumentation Österreich II, vom damaligen ORF-Generalintendanten Gerd Bacher erfunden, haben Lehrer in der Schule eingesetzt (Doku über die 2. Republik ist ab Herbst im Sender ORF III zu sehen).
Warum machen Sie keine Dokumentation über Europa?
Das habe ich mir noch nie vorgestellt. Das scheitert daran, dass es für jeden Staat, der in der EU ist, eine andere Vorgeschichte gibt. Das über einen Leisten zu bringen, wäre vermutlich langweilig.
Sie haben mit dem Buch ‚Was jetzt‘ viel Europa-Begeisterung ausgelöst. Dieses Gefühl schwindet angesichts der Krise, die mit Zypern voll zuschlägt. Kann man noch für die EU sein?
Wie es zu diesem europäischen Zusammenschluss gekommen ist, das ist nach wie vor ein ganz großes Wunder. Die Montanunion hat den Frieden zwischen Deutschland und Frankreich besiegelt. Mit der Idee, die Wirtschaften zu verschränken, konnte Friede in Europa aufrechterhalten werden. Früher gab es ja unentwegt Kriege in Europa. Aber die heutige EU ist über dieses Primärziel weit hinausgegangen. Gerade mit dem Buch wollte und will ich nachweisen, was heute mit EU und Euro auf dem Spiel steht.
Wie bewerten Sie den aktuellen Zustand der EU?
Es gab immer wieder Rückschläge in der EU, sie wurden aber immer überwunden und dabei ging es auch jeweils ein Stück vorwärts. Ich weiß nicht, ob das jetzt wieder der Fall sein wird, ich traue mir das nicht vorauszusagen. Aber eines weiß ich: Dümmer als sich die EU-Kommission in letzter Zeit verhalten hat, kann man sich nicht verhalten. Sie verstößt gegen ihre eigenen gesetzlichen Grundlagen, die die Subsidiarität vorsehen. Was lokal, regional oder auf Landesebene geregelt werden kann, davon hat die EU die Finger zu lassen.
Die Kommissare glauben, sie sind Minister für ganz Europa und müssen unentwegt Gesetze erlassen. Es ist hanebüchen, zu verkünden, Wasser und andere öffentliche Dienste könnten ab sofort privatisiert werden. Wasser ist das Edelste, was es gibt – außer die eigene Gesundheit. Die Kommissare haben kein Gespür.
Zur Zypern-Rettung haben die Finanzminister den Zugriff auf Sparguthaben vorgeschlagen. Eine richtige Entscheidung?
Das hat allerdings Zyperns Präsident mitbeschlossen. Doch dass alle Sparer mitzuzahlen haben, ist ja ein heller Wahnsinn, wenn man weiß, dass es schon bei der ersten Finanzkrise die große Frage war, ob die Sparguthaben in Gefahr wären oder nicht. Und völlig richtig wurde sofort verkündet, 100.000 Euro sind überall garantiert. Plötzlich sind sie nicht mehr garantiert. Plötzlich sind sie in Zypern, einem Euro-Land, nicht mehr garantiert. Die Zypern-Entscheidung war ohne Gespür und ohne politische Verantwortung.
Kein gutes Krisenmanagement?
Ganz schlecht. Ich hoffe, es zieht wieder Vernunft ein. Das Vertrauen ist schon sehr gestört worden.
Die Ablehnung der EU wird überall stärker. Was können Medien oder die Politik dagegen tun?
Die Medien tun schon sehr viel, indem sie protestieren, die Dummheiten aufzeigen, die Kommission kritisieren. Ich meine nicht undifferenziertes Wettern gegen die EU. Die Medienkritik trägt zum rethinking, dem nochmaligen Überdenken, bei. Es bedarf aber eines radikaleren Umdenkens in Brüssel und auch im Rat, in dem die einzelnen Regierungen vertreten sind. Da ist immer noch der Austerity-Gedanke, der Sparkurs, vorherrschend. Die großen Ökonomen Keynes und Schumpeter wären nicht der Meinung, dass mit Sparen alles geht. Es braucht jetzt Mut für richtige Revisionen.
Was muss sich ändern?
Was in Europa nicht nur die Sozialdemokraten vertreten, man muss die Schulden aller schultern, etwa durch die Einführung von Euro-Bonds. Euro-Bonds haben einen bestimmten Wert, der von den Börsen festgelegt wird. Wenn alle Länder mitmachen, die Starken und die Schwachen, wird es einen mittleren Wert geben. Das Jammern, dass unser Geld, das wir ausborgen, etwas mehr kostet, wird losgehen. In der Welt gibt es aber sehr, sehr viel Geld, das sichere Anlagen sucht. Euro-Bonds wäre sehr bald eine sichere Anlage. Die Zinsenerhöhung wäre gar nicht so schlimm und: Wir wollen doch künftig gar keine neuen Schulden machen, also könnten uns die Zinsen für geborgtes Geld egal sein.
Alle schimpfen auf Europa. Ist das berechtigt?
Nein, nicht alle. Viele schimpfen auf Europa. Viele schimpfen automatisch seit eh und je aus reinem Populismus. Andere schimpfen, weil sie enttäuscht sind und sehen, dass Dummheiten gemacht werden.
Gefährden antieuropäische Protestbewegungen die EU?
Für das gesamte europäische Projekt hoffe ich nicht. Die EU darf allerdings nicht so weitermachen. Ich glaube an dieses Projekt, aber nur wenn es zu einem radikalen Umdenken im Rat und in der Kommission kommt. Da muss man mutig gegenüber der Bevölkerung sein. Unsere Regierung zeigt, dass sie ganz schön mutig ist.
Wie sollte die EU aussehen?
Umdenken soll nicht nur von Solidarität, sondern von cleverer Wirtschafts- und Finanzpolitik gesteuert sein. Dazu bedarf es cleverer Politiker und Fachleute, auf die die Politiker hören. Es gibt welche, die immer schon gesagt haben, weg vom Austerity-Gedanken, weg vom nur Sparen. Aber wo sind die Investitionsgedanken? Keynes, der kühnste Ökonom der 1930er-Jahre, sagte, in der Not muss der Staat investieren. Ein Staat kann nicht bankrottgehen, wenn er klug handelt. Was sich ergeben kann, ist eine leichte Inflation. Heute hat man das Keynes-Prinzip einfach vergessen.
Braucht Europa einen New Deal?
Das wäre ideal. Der amerikanische Präsident Roosevelt (Amtszeit: 1933–1945, Anm.) hat für dem New Deal einen philosophischen Grundsätze geprägt: ‚We have nothing to fear but fear itself‘ (Wir haben nichts zu fürchten, als die eigene Furcht). Das ist doch das Kommando für vorwärts.
Ausbildung 1927 geb. in Bratislava; Uni-Wien (Dr. phil.).
Beruf Seit 1947 Journalist; von 1958– 1967 KURIER-Chefredakteur, danach Chefkommentator im ORF.
Dokus Gemeinsam mit US-Außenminister Kissinger Doku „World War II - Causes and Backgrounds“. Doku über 1. u. 2. Republik.
Bücher Zahlreiche Weltbestseller, z. B. „Friede durch Angst“, „So sah ich China“. Preise Hohe journalistische Auszeichnungen.
ÖSTERREICH 1 - Geschichte der Republik
Der ORF zeigt die Reihe auf ORF III seit 2. Februar jeden Samstag um 20.15 Uhr.
Die Dokumentarreihe ist auch als Box mit sechs DVDs erhältlich (ORF III-Edition). Die Box kostet 67,99 Euro.