Politik/Ausland

Pop-Kultur in Afghanistan: Die Rebellion der Ameisen

Alles begann mit einem Beatles-Album, damals in Herat vor 18 Jahren: „Let it be.“ Eine Schallplatte, die er als 13-Jähriger in der Sammlung seines Vaters fand und wieder und wieder abspielte auf dem Plattenspieler, den sie damals zu Hause hatten. Der Beginn einer großen Liebe. Eine, die bis heute hält.

Masoud Hasanzada ist Musiker und legt Wert auf ein Prädikat: Er ist nicht nur Musiker, sondern Protestmusiker. Seit sieben Jahren in der Funktion des Frontmann der Band Morcha. Das ist Dari und bedeutet so viel wie Ameisen. Zusammen bezeichnen sie sich als die erste und bisher einzige Bluesrockband Afghanistans. Wobei Masoud Hasanzada bei dem Wort „Bluesrock“ hin und her wippt, als wollte er unterstreichen, dass es das nicht so ganz trifft. Zu lieblich klingt das. Geht es doch vor allem auch um eines: Protest.

Der 31-Jährige in der modisch abgewetzten Uniformjacke spricht ruhig und gelassen mit einem leichten Lächeln über Krieg, Korruption und die Probleme, die junge Menschen so hätten in einem Land, in dem neue Ideen oft an einer Mauer von Traditionen und der Verweigerung der Älteren abprallen. Über Jugendarbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, die Schere zwischen Arm und Reich, das Dahinschmelzen einer kurz aufkeimenden Mittelschicht. Hasan Hasanzada bezeichnet sich als Sozialist, teilweise sogar Anarchist und nicht gerade gläubig.

„15 Tote in Herat, die Regierung will mit den Taliban verhandeln“, lautet eine Textzeile in einem seiner Lieder. Eine Aneinanderreihung von Headlines afghanischer Zeitungen. Und in einem Liebeslied heißt es: „Liebe, Krieg, Korruption, Opium.“ Liebe sei da mehr als Solidarität gemeint. Nicht im romantischen Sinn. Tabus gibt es nicht in seinen Texten, wie er sagt. Aber doch Punkte, wo es heikel und teils absolut lebensgefährlich werden kann.

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Was ihn dennoch antreibt? Er wolle über die Probleme des Landes sprechen, sagt Masoud Hasanzada – und Rock sei nichts anderes als die Sprache, mit der er das tue. Nicht eben traditionelle Musik – wenn auch die durchaus immer wieder einfließe. Aber als Vorbilder nennt er Bob Dylan, Tom Waits, den russischen Dichter und Sänger Wladimir Wyssotzki, John Lennon und natürlich die Beatles. Gesungen wird bei Morcha auf Dari. Und noch etwas: Es gehe ihm darum, ein anderes Gesicht Afghanistans zu zeigen.

Es ist ein Gesicht, das sich in Kabul nur im Verborgenen zeigt. Clubs gibt es nicht, geschweige denn eine breite Sub- oder Ausgeh-Kultur. Ein Restaurant im Zentrum ist zum Treffpunkt einer Clique geworden, in der jeder jeden kennt. In der Bands jammen. Bands, die sich solche Labels wie Grunge, Metal oder Indie geben – initiiert von Leuten die allesamt nicht von ihrer Leidenschaft leben können.

Konzerte sind selten und finden wenn, dann in sehr formellem Rahmen statt. Das Publikum sitzt. „Das ist eben Afghanistan“, so Masoud Hasanzada dazu trocken. Morcha haben aber immerhin ein Album aufgenommen und auch einige Hundert Stück verkauft. Dennoch: Seine Brötchen verdient der Sänger als Journalist. Zu klein ist die Fangemeinde.

Die Feinde rufen an

Masoud Hasanzadas erzählt von den ersten Konzerten in seiner Heimatstadt Herat: „Wir haben erwartet, dass man uns mit faulen Paradeisern und Steinen beschmeißen wird.“ Pause. Er zieht die Schultern hoch. „Haben sie aber nicht.“ Er lacht.

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Die wahren Feinde werfen nicht mit Steinen. Und auch nicht mit Paradeisern. Sie rufen im besten Fall erst einmal an. Masoud Hasanzadas Vorgänger als Frontmann der Band lebt nach Morddrohungen heute in Deutschland. Auch er selbst hat mehrmals Drohanrufe erhalten und die Mahnung, nie mehr in seine Heimatstadt zurückzukehren. Wie Masoud Hasanzada meint, kämen diese Anrufe aus dem Ministerium für Wasser und Energie. Minister ist dort Ismail Khan, ein einst mächtiger Warlord aus Herat. Er fuhr dennoch nach Herat, um dort an der Uni zu spielen. Dann wurde der Auftritt storniert, weil das, was Morcha täten, „schandhaft“ sei. Passiert ist zum Glück aber nichts.

„Wir haben aber auch sehr gutes Feedback“ – Masoud Hasanzada grinst und erzählt: Nachdem das Gerücht umgegangen sei, dass die US-Armee Panzerfahrzeuge mit Lautsprechern einsetze, um verschanzte Taliban mit Hard Rock zu nerven, habe man sie plötzlich überall für Amerikaner gehalten. Auch wenn Morcha mit Hardrock gar nichts zu tun haben.

Von solchen Dingen erzählt Masoud Hasanzada mit einem Schmunzeln. Von den Gefahren ringsum mit einem Achselzucken. Wenn er von seinen Träumen spricht, dann aber tut er das mit einem Lächeln, wie es breiter nicht sein könnte: „Einmal eine Tour ins Ausland. Und ein Publikum, das steht, tanzt – und nicht sitzt.“