Politik/Ausland

"Einfache Leute haben auch Teil der Schuld"

KURIER: Fragen Sie sich manchmal, wann die Realität die Fiktion in Ihren Büchern – tote Banker, Aufstände, ein Griechenland ohne Euro – einholen wird?

Petros Markaris: Man geht immer ein Risiko ein, wenn man Romane über die Realität verfasst. Mein Problem ist: Wie kann man den Griechen erklären, warum sie leiden und was wir als Land alles falsch gemacht haben. Das ist ein Diskurs, der in Griechenland selten zu hören ist. Ich wollte Anlass zum Nachdenken geben. Vielen Griechen leiden, vor allem die Jungen. Es gibt eine sehr hohe Jugendarbeitslosigkeit. Aber das sollte uns nicht daran hindern, über unsere Gegenwart und unsere Zukunft nachzudenken.

Sie gehen mit den Politiker in Griechenland immer sehr hart ins Gericht. Warum?

Mein größtes Problem habe ich mit der griechischen politischen Klasse und besonders mit jenen Parteien, die das Land regiert haben. Von Anfang der Krise an bis heute haben sie den Leuten nie die ganze Wahrheit gesagt haben. Sie haben immer einen Teil verschwiegen.

Was wurde verschwiegen?

Das Ausmaß der Krise. Die Politiker haben von einem Regenguss gesprochen, während es doch ein Sintflut war. Das hatte zur Folge, dass die Leute alle die Schläge unvorbereitet entgegengenommen haben. Und das hat alles viel schwieriger gemacht. Was mich am meisten beunruhigt: Mir fehlen die jungen Politiker. Sie könnten dem Land eine andere politische Orientierung geben. Es sind immer die selben Leute, die die Regierung und die Opposition übernehmen.

Der Chef der extrem linken SYRIZA-Partei, Alexis Tsipras (39), ist doch jung?

Wenn ich jung sage, meine ich nicht nur im Alter, sondern auch jung in der Skepsis, im Nachdenken. Ich könnte heulen, wenn ein junger Mann, der als Politiker auftritt, so opportunistisch agiert, dass er jeden Tag etwas anderes sagt. Und den Leuten immer nach dem Mund redet.

Wie schnell kommt Griechenland bei der Überwindung der Krise voran?

Griechenland erlebt eine Krise, die nicht nur eine Finanzkrise ist. Sie ist auch eine Krise der Werte, eine existenzielle Krise. Am meisten ärgert mich diese Stagnation. Das ganze System stagniert. Andererseits muss ich auch sagen, dass wir gezwungen sind, Vieles in ganz kurzer Zeit nachzuholen und das ist nicht einfach. Was wir in 30 Jahren versäumt haben, können wir nicht in drei Jahren gut machen.

Was meinen Sie mit einer Krise der Werte?

Griechenland war im Laufe der jüngeren Geschichte, abgesehen von den letzten 30 Jahren, eigentlich immer ein armes Land. Und dieses arme Land hatte Werte, Werte der Armut, aber Werte. Auf einmal kommt dieser fiktive Reichtum, aber die Griechen kennen die Wert des Reichtums nicht: Also mit dem Geld richtig umgehen, investieren, produktiv sein. Und weil sie diese Werte nicht kannten, war es für sie unmöglich, über eine Konsummentalität hinauszuwachsen. Jetzt haben wir die Folgen davon. Wir haben die Werte der Armut verloren und die Werte des Reichtums haben wir uns auch nicht zu eigen gemacht.

Was sind Werte der Armut?

Solidarität, Zusammenhalt, eine Mentalität, in der Armut nicht nur zu überleben, sondern auch positive Ansätze zu finden.

Sehen Sie die Krise als eine Chance für eine Katharsis?

Die einzige gute Seite der Krise ist es, ein neues Bewusstsein zu entwickeln und als Ausgangspunkt für eine andere Politik und eine andere Mentalität, zu nutzen. Das wäre ein Chance. Ich sehe eine gewisse Hoffnung auf Seiten der jungen Leute. Denn bis Mitte 2012 wollten allen jungen Leute einfach nur aus Griechenland weg. Seit Ende 2012 sehe ich einen Teil der Jugend, die Minderheit, gebe ich zu, der bleiben will. Diese jungen Leute sind in einer Zeit des Reichtums aufgewachsen, und natürlich geraten sie in Panik, wenn es um Armut geht. Aber irgendwann werden sie auch dazulernen. Ich kenne junge Leute, die wirklich mutig kämpfen. Die Erneuerung Griechenlands wird auf jeden Fall über die Jungen laufen.

Ist mit ihrem neuesten Roman „Abrechnung“ Ihre „Trilogie der Krise“ jetzt abgeschlossen?

Die Krise nicht, aber die Trilogie schon. Ich schreibe jetzt gerade noch einen Epilog dazu. Im Nachhinein habe ich festgestellt, dass ich über Banker geschrieben habe, über Steuerhinterzieher und über diese politische Generation der 80erJahre. Was mir noch gefehlt hat, sind die einfachen Leute. Sie muss man auch einbeziehen, denn sie haben auch einen Teil der Schuld zu tragen.

Müssen Griechen wie die Deutschen werden?

Nein, man kann nicht von Griechen erwarten, dass sie zu Deutschen mutieren. Sie sollen nicht anders werden. Als ich 1965 nach Athen kam, waren die Griechen so ein humorvolles und witziges Volk. Die haben ununterbrochen gelacht, im Bus, auf den Straßen. Der Humor ist jetzt weg, kein Mensch lacht mehr. Ein Freund sagte mir: Ja natürlich, die leiden. Und ich sagte: 1965 haben sie auch gelitten und trotzdem haben sie gelacht. Ich denke, die Armen haben Humor, aber die Gierigen haben keinen Humor, so geht das.

Sollte Europa noch solidarischer sein?

Es gibt diesen Spruch: Hilf dir selbst, so hilft dir Gott. Also zuerst müssen wir uns selbst helfen. Wir können nicht davon ausgehen, dass die anderen uns immer wieder unterstützen werden. So viel christliche Mentalität gibt es in der Politik nicht und in der Finanzwelt noch weniger.