"Pegida": Heimatliebe und Hetze
Dresden am letzten Montag: 7500 Leute demonstrieren im Zentrum, einige sind laut Internet-Bekenntnis "350 Kilometer angereist". Ihr Auftreten wirkt mehr bürgerlich als proletarisch, der Altersschnitt liegt bei unter 40. Sie stehen auf einem ziemlich dunklen Platz nahe der Innenstadt. Die "Spaziergänge" zuvor mit der wöchentlich sich verdoppelnden Zahl der Teilnehmer hatten die Kaufleute zuletzt als schlecht für ihr Weihnachtsgeschäft beklagt. Man schweigt, nur ein paar erkennbare Rechtsradikale rufen Ausländerfeindliches, wenn sie Journalisten sehen.
Die Parolen kommen von einem Lautsprecherwagen und sind die gleichen wie jene auf den Transparenten: "Wir sind gegen Glaubenskriege auf deutschem Boden, gegen religiösen Fanatismus, für die Erhaltung unserer Kultur. Wir wollen Asyl für Kriegsflüchtlinge, aber geordnet mit gleichmäßiger Unterbringung, und die Abschiebung krimineller Wirtschaftsflüchtlinge, wie es im Gesetz steht. Und Pflicht der Einwanderer zur Integration!" Die Auswahl der Sprecher ist unklar, aber "Ausländer raus" oder andere fremdenfeindliche Parolen kamen laut Organisatoren nie über den Lautsprecher.
"Wir sind das Volk"
Die "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes", abgekürzt "Pegida", imitieren die Massenproteste vor 25 Jahren in ostdeutschen Städten: Damals läuteten schweigende "Montagsspaziergänge" das Ende der DDR ein, sie waren die Basis für die spätere Legende von der "Friedlichen Revolution". Und wie damals skandiert heute die Menge: "Wir sind das Volk."
Gespräche mit Journalisten sind verpönt, denn "der Politik und ihrem gleichgeschalteten Medienmainstream vertrauen wir nicht." Man will, so der Tenor, "keine Verhältnisse wie in Berlin, Hamburg und Nordrhein-Westfalen".
Anders als 1989 organisiert man sich jetzt vorwiegend im Netz statt nur über Mundpropaganda. Und es fehlt natürlich die Drohkulisse der DDR-Volkspolizei und des Geheimdienstes Stasi. Polizei steht aber auch jetzt bereit: Denn gleich viele und ebenso bunt gemischte Gegendemonstranten stehen in Sichtweite und verhindern, zeitweilig auch mit Sitzblockaden, das Weiterziehen von "Pegida". Gewalt, wie bei solchen Gelegenheiten in Berlin, Hamburg und anderen Großstädten liegt in Dresden aber nicht in der Luft.
Friedlichkeit ist oberstes Gebot, wie die Organisatoren immer wieder ermahnen. Man will hier bürgerlich seriös wirken und keine Rechtsradikalen, Neonazis und Hooligans anziehen. Was aber nicht gelingt: Etwa 120 glauben die Organisatoren selbst zuletzt gezählt zu haben, andere aber viel mehr.
Radikale Nachahmer
Bei den Nachahmern der Dresdner "Pegida" in Westdeutschland ist das eindeutig: In einem Dutzend Städten organisieren bekannte Rechtsradikale Demos mit ähnlicher Bezeichnung. Ihre Parolen sind noch viel klarer gegen den Islam und Ausländer gerichtet. Sie haben aber bisher wenig bis kaum Zulauf, prägen jedoch das negative Image von "Pegida" in der Öffentlichkeit stark mit.
Das tut auch der Dresdner Hauptorganisator: Lutz Baumann, 41, ist ein wegen Eigentums- und Drogendelikten vorbestrafter Werbefachmann, der nur auf Bewährung frei ist. Er hält seine Medienpräsenz niedrig. Auch damit versucht die gerne anonym bleiben wollende "Pegida"-Führung das Image als breiten Volksprotest "gegen die da oben" zu kultivieren. Neben ihm wird noch ein weiteres Mitglied der Führungsriege unter dem Stichwort "allgemeine Kriminalität (auch Gewaltdelikte)" in einer Polizeidatei geführt, berichtet der Spiegel. Auch ein dritter Organisator sei als Betrüger unterwegs gewesen.
Doch das misslingt zusehends. Noch Mitte der Woche schwankte die Politik zwischen Abscheu und Dialog. Der SPD-Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Ralf Jäger, bezeichnete "Pegida" als "Neonazis in Nadelstreifen". Der aus Dresden kommende CDU-Bundesinnenminister Thomas de Maiziere sah in ihr hingegen den "Ruf nach mehr Dialog". Nachdem Kanzlerin Angela Merkel am Donnerstag scharf mahnte, "in Deutschland gibt es keinen Platz für Hetze gegen Gläubige, für Islamophobie und Fremdenfeindlichkeit", rückte auch de Maiziere ab: "Pegida missbraucht die Sorgen der Menschen." Und Bundespräsident Joachim Gauck, 1989 selbst Redner auf DDR-Montagsdemos, rät, "die wenig hilfreichen Chaoten weniger zu beachten". Doch alle werden am Montag wieder nach Dresden schauen.
Wolfgang Bosbach, langjähriger Innen- und Sicherheitssprecher der CDU und Chef des Bundestags-Innenausschusses, lehnt Pegida nicht so kategorisch ab wie der Großteil der Politik, warnt aber eindringlich vor rechtsradikaler Unterwanderung.
KURIER: Herr Bosbach, halten Sie „Pegida“ für gefährlich?
Wolfgang Bosbach: Natürlich habe ich Verständnis für die Sorgen der Menschen, sofern sie berechtigt sind. Viele fragen sich ja, ob durch die anhaltend hohe Zuwanderung die Integrationskraft vieler Kommunen nicht überfordert wird. Mein Verständnis endet aber, wenn Rechtsradikale und Neonazis mitmarschieren, um auf diese Weise Protest aus der Mitte der Gesellschaft für eigene Ziele zu instrumentalisieren. Wenn die Veranstalter sagen, sie wollten Rechtsradikalen keine Plattform bieten, sollten sie auch dafür sorgen, dass die nicht mitmarschieren.
Sollte auch die „Alternative für Deutschland“ isoliert werden?
Sicher gibt es in Teilen der AfD die Hoffnung, dass man aus den Demonstrationen Kapital schlagen könne. Parteichef Lucke findet Pegida großartig, die Begeisterung seines Stellvertreters Henkel hält sich sehr in Grenzen.
Was tun also: Ignorieren oder Dialog, wie ihn Innenminister de Maiziere anfangs forderte?
Die Politik soll genau hinhören, was die Menschen bewegt. Die große Mehrheit der Demonstranten ist nicht radikal, sie kommt aus allen Teilen der Bevölkerung. Interessant ist aber auch: In Sachsen beträgt der Anteil an Ausländern 2,2 Prozent. Alleine in Düsseldorf dürften mehr leben. Dort demonstrierten aber nur ein paar Hundert.
Pegida will „keine Zustände wie in Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Berlin bekommen“, das die Neue Zürcher Zeitung als „Hauptstadt der Verantwortungslosigkeit“ betitelt. Doch der SPD-Innenminister von NRW nennt Pegida „Neonazis in Nadelstreifen“. Hilft das?
Wenn Herr Jäger alle Demonstranten so tituliert, ist das nicht nur plump und falsch, weil viel zu pauschal. Dann ist das sogar kontraproduktiv, weil sich viele zu Unrecht angegriffen fühlen.
Was kann die Politik denn tun?
Deren Aufgabe ist es, Probleme nicht nur zu beschreiben, sondern zu lösen. Das aber ist oft sehr mühsam. Da ist es viel einfacher, wie die AfD plakative Forderungen zu erheben. Zum Beispiel: Zurzeit haben wir 150.000 ausreisepflichtige Personen, aber nur etwa 10.000 werden pro Jahr auch abgeschoben. Die Quoten sind je nach Bundesland sehr unterschiedlich. Wenn rot-grüne Bundesländer ihre „Wintererlasse“ behalten, nach denen Ausreisepflichtige im Winterhalbjahr nicht ausgewiesen werden dürfen, bleibt es bei verstärktem Zuzug im Spätsommer. Denn dann sind sechs Monate Aufenthalt garantiert, obwohl nie ein Recht dazu bestand. Wer dagegen protestieren will, soll das dort tun, wo es diese Erlasse gibt!
Soll der Bund nun nachsteuern?
Der Innenausschuss berät derzeit eine umfangreiche Gesetzesinitiative mit zwei Schwerpunkten: Einerseits verbessertes Bleiberecht für langjährig geduldete Flüchtlinge und andererseits beschleunigte Beendigung des Aufenthalts für Ausreisepflichtige. Bei Ersterem werden wir uns wohl rasch einigen, im zweiten Teil rechne ich mit erheblichen Protesten der Grünen, die über Rot-Grün im Bundesrat eine starke Stellung haben.
Würden Sie sich eher zu Pegida stellen oder lieber zur Gegendemonstration?
Ich? Demonstrieren? Nein danke. Dafür habe ich keine Zeit, ich muss arbeiten.
Acht der 80 Millionen Einwohner Deutschlands haben einen fremden Pass, etwa zwei Millionen davon dürften Muslime sein. Mit 5,7 Prozent Steigerung war 2013 der Zuzug der höchste seit 1992. Vier Fünftel davon kamen aus der EU und Russland.
Heuer rechnet Deutschland wegen des Syrien-Krieges und Italiens EU-widrigem Weiterschicken von Flüchtlingen gen Norden mit zusätzlichen 220.000 Flüchtlingen – ein Rekord. Deutschland ist in absoluten Zahlen das beliebteste Einwanderungsland nach den USA.