Politik/Ausland

Papst Benedikts Angst "vor der geistigen Macht des Antichrist"

Mehr als 1000 Seiten ist sie dick, die neue Biografie über den jetzt  93-jährigen Papst emeritus  : „Benedikt XVI.- Ein Leben“. Der deutsche Journalist Peter Seewald hat Joseph Aloisius Ratzinger in vielen Gesprächen gut kennengelernt. Der Bayer aus Marktl am Inn in der Nähe von Passau sei  ein „modern denkender Mensch“, kein Kumpeltyp, eher schüchtern, immer auch unbequem, und niemand, der sich dem Zeitgeist anpasst.

Auf die Frage, ob er einmal in ein Mädchen verliebt gewesen sei, antwortet er kurz und unpräzise: „Vielleicht.“ Frage: Also ja? „Könnte man so interpretieren.“ Frage: Wie lange hat diese leidvolle Zeit gedauert? Einige Wochen, ein paar Monate? Antwort: „Länger.“

Was  für Aufsehen sorgen könnte, ist Benedikts Bild von der modernen Gesellschaft: Sie sei dabei ein „antichristliches Credo zu formulieren“. Wer sich dem widersetze, dem drohe gesellschaftlicher Ausschluss.

Er nennt drei Beispiele: „Vor hundert Jahren hätte es noch jedermann für absurd gehalten, von homosexueller Ehe zu sprechen. Heute ist gesellschaftlich exkommuniziert, wer sich dem entgegenstellt. Ähnliches gilt bei Abtreibung und für die Herstellung von Menschen im Labor.“ Es sei „nur allzu natürlich“, darum Furcht vor der geistigen Macht des Antichrist“ zu haben.  

Nach Ansicht des 2013 zurückgetretenen Papstes liegt „die eigentliche Bedrohung der Kirche“ in einer „weltweiten Diktatur von scheinbar humanistischen Ideologien“. Der emeritierte Pontifex sieht sich überdies als Opfer einer „bösartigen Verzerrung der Wirklichkeit“.

Bitter war offenbar auch für ihn sein Streit mit dem Tübinger Theologen  Hans Küng, mit dem er anfangs  befreundet war. „Kein anderer Theologe hatte sich der  bürgerlich-liberalen bis kirchenfeindlichen Presse stärker angedient als der Schweizer“, schreibt Seewald.

Eine Kernthese seiner Biografie lautet: Es sei falsch, dass  Joseph Ratzinger, der Dogmatik-Professor und  spätere Präfekt der Glaubenskongregation (seit 1981) im Schock über Küng und die 1968-er Revolution seine „Progressivität“ nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil aufgegeben habe. Denn Ratzinger sei ein geradliniger Mann, dessen theologische Ansichten sich nie geändert hätten.

Benedikt drückt sich  vorsichtiger aus: „Der Spektakel an Reaktionen, der hernach von der deutschen Theologie kam, ist so töricht und so bösartig, dass man lieber nicht davon spricht. Die eigentlichen Gründe dafür, dass man einfach meine Stimme ausschalten will, möchte ich nicht analysieren.“  

Kritiker werfen Benedikt vor, sich wie eine Art „Schattenpapst“ zu verhalten. Besonders laut wurde diese Kritik, als im vergangenen Jahr ein Beitrag von ihm in einem Buch von Kardinal Robert Sarah über den Zölibat erschien.

„Die Behauptung, dass ich mich regelmäßig in öffentliche Debatten einmische, ist eine bösartige Verzerrung der Wirklichkeit“, betont  der 93-Jährige. Benedikt hat nach eigenen Angaben eine sehr gute Beziehung zu seinem Nachfolger Franziskus. „Wie Sie wissen, ist die persönliche Freundschaft mit Papst Franziskus nicht nur geblieben, sondern gewachsen.“

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Als Höhepunkt seines Lebens nennt Benedikt nicht die Wahl zum Papst im Jahr 2005, sondern seine Priesterweihe im Freisinger Dom am 29. Juni 1951.

Benedikts Biograf Seewald glaubt, dass man die Bedeutung Benedikts auf die Kirche erst   nach seinem Tod zu schätzen lernt. „Jemanden wie ihn wird es jedenfalls nicht mehr geben.“