Politik/Ausland

Impfhelfer im Visier der Gotteskrieger

Mit dem Impfstoff in seiner Tasche ging der junge Arzthelfer am Mittwochmorgen in einem Armenviertel Peshawars von Tür zu Tür, als vermummte Männer auf ihren Motorrädern herbeirasten. Sie stoppten den jungen Mann und schossen ihm gezielt in den Kopf. Er war das neunte Opfer tödlicher Angriffe innerhalb von nur zwei Tagen.

Der Tod der insgesamt sechs Frauen und drei Männer geht auf das Konto radikal-islamischer Taliban-Aktivisten, die mit ihren Terrorangriffen gegen Impfhelfer offenbar erreichten, was sie beabsichtigt hatten: Die Impfkampagne gegen die Kinderlähmung musste in Pakistan ausgesetzt werden. Alle rund 225.000 freiwilligen Helfer im Land wurden von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gebeten, vorerst zu Hause zu bleiben. Das Risiko weiterer Angriffe durch die Taliban sei zu hoch.

Wilde Gerüchte

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Immer wieder hatten die Gotteskrieger Drohungen gegen sie seit Jahren laufende Impfaktion ausgestoßen. Ein einflussreicher Taliban-Führer in den schwer zugänglichen Stammesgebieten des Landes verbot die Impfungen überhaupt. Die ganze Impfaktion, so geistern die Gerüchte, sei nichts anderes als ein von den USA initiierter Plan, Muslime mit dem Impfstoff unfruchtbar zu machen.

Ein anderer Warlord wiederum polterte: Geimpft dürfe so lange nicht werden, so lange die USA in Pakistan ihre Drohnenangriffe fliegen. Nicht vergessen haben die Taliban zudem die Aktion eines im Dienst der CIA stehenden Arztes: Der hatte vor zwei Jahren, mit einem Anti-Hepatitis-Impfstoff im Gepäck an die Tür des damaligen Terrorführers Osama bin Laden geklopft. Dieser ließ sich tatsächlich impfen – und lieferte so der CIA seine DNA. Einige Monate später flog dann das US-Sonderkommando in Abbottabad ein und tötete bin Laden.

Für die grausame Racheaktion der Taliban gegen die Anti-Polio-Impfhelfer haben vor allem Pakistans Kinder zu zahlen: Nur in drei Ländern der Welt existiert die Kinderlähmung überhaupt noch – in Nigeria, in Afghanistan und Pakistan, wobei die Anzahl der Neuerkrankungen pro Jahr (knapp 200 im Vorjahr) in Pakistan bei weitem am höchsten ist. In einer gewaltigen Kraftanstrengung hatte Pakistans Regierung umso mehr versucht, alle 35 Millionen Kinder unter fünf Jahren mit der Polio-Schluckimpfung zu immunisieren – bis gestern.

Mit HIV verseucht

Mit Aussetzen der Impfaktion steigt die Gefahr neuer Infektionen in Pakistan damit wieder stark. Die Poliomyelitis, kurz Polio, wird durch Viren übertragen und ist hochansteckend.

Auch in Nigeria hatten religiöse Eiferer vor acht Jahren einen Polio-Impfboykott durchgesetzt: Der Impfstoff sei vergiftet, mit HIV, hieß es damals. Die fatale Folge der folgenden Hasswelle gegen Impfstoff und Impfhelfer: In 20, schon seit Jahren poliofreien Länden Afrikas, brach die Krankheit wieder aus.