Politik/Ausland

Zwischen Bomben und Boom

Um vier Uhr morgens rief der Muezzin zum Gebet, längstens zwei Stunden später war halb Mossul wirklich wach. Die Detonation einer massiven Autobombe vor einer Polizeistation ließ auch das Quartier des KURIER-Reporters beben – obwohl es zwei Kilometer Luftlinie vom „Epizentrum“ entfernt lag. Wieder einmal hatten radikale Islamisten in der nordirakischen Stadt zugeschlagen. Sie gilt als Hochburg El-Kaida-naher Gruppen und für manche schon gefährlicher als Bagdad.

Martialisch adjustierte Sicherheitskräfte sind alle 150 bis 200 Meter entlang den Einfahrtsstraßen postiert – mit Stahlhelm, Sturmhaube, Splitterweste, Maschinengewehr im Anschlag und einem halben Dutzend Magazinen zum Nachladen. Neuralgische Punkte, wie Regierungsgebäude, Polizeistationen oder Kirchen, sind mit Betonblöcken abgeriegelt, in verbarrikadierten Wachtürmen haben Soldaten Stellung bezogen. Und an den unzähligen Checkpoints sollen potenzielle Terroristen herausgefiltert werden.

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Doch die haben sich in der malerisch am Tigris gelegenen, jahrtausendealten Stadt längst festgesetzt. Fast täglich kommt es in Mossul zu einem Anschlag. Und auch Entführungen stehen hoch im Kurs bei den Extremisten. „Mich haben sie gemeinsam mit einem anderen Priester 2007 erwischt“, erzählt Pius Affas, assyrisch-katholischer Pfarrer. Beide hätten sie mit dem Leben abgeschlossen und begonnen, den Tod zu akzeptieren. „Das Erste, was wir taten, war, uns gegenseitig die Absolution zu erteilen“, sagt der 74-Jährige, der von der österreichischen Dreikönigsaktion unterstützt wird.

Lösegeld

In seinem Fall sei es eine Frage des Lösegeldes gewesen. „Ich habe uns so auf 100.000 Dollar taxiert. Aber nachdem sich Papst Benedikt XVI. öffentlich für uns eingesetzt hatte, hat sich der Preis verdoppelt“, betont Affas und lächelt. Das habe er dem Pontifex bei einem späteren Empfang in Rom aber nicht erzählt. Als das Geld schließlich floss, kamen die beiden nach neun Tagen Geiselhaft frei.

Öl-Dorado

Schauplatzwechsel: Die Stadt Kirkuk, ein weiterer Hotspot im Norden des Irak. Warum das so ist, lässt sich bei nächtlicher Anfahrt schon von Weitem ausmachen: Brennende Gasfackeln markieren den Öl- und Gasreichtum der Region, auf die die Zentralregierung in Bagdad und die boomende autonome Kurden-Provinz um Erbil (siehe unten) gleichermaßen Anspruch erheben. Ein fast unlösbarer Konflikt, da das „Jerusalem Mesopotamiens“, wie man Kirkuk auch nennen könnte, einen ethnischen Schmelztiegel darstellt, der die gesamte Irak-Problematik wie in einem Brennglas abbildet. Hier gibt es Sunniten, Schiiten, Kurden und auch Turkmenen sowie eine – nur mehr kleine – Christenschar.

Der Stadtteil „1. Juni“ (Nationalfeiertag): Müll türmt sich in den Straßenzügen zwischen bröckelnden Plattenbauten. Solche ließ Ex-Diktator Saddam Hussein seit den 60er-Jahren errichten, um dort Sunniten anzusiedeln, nachdem er die ansässigen Kurden vertrieben hatte. Auf öden Freiflächen landen alte Autoreifen und verrosten Auto-Karosserien. Geschäfte findet man fast keine. Das Einzige, das in diesem Biotop der Tristesse und Perspektivlosigkeit gedeiht, ist radikal-islamisches Gedankengut. Als „Terroristen-Viertel“ wird die heruntergekommene Gegend bezeichnet, weil hier Dschihadisten ihre Anschläge planen – und fast jeden Tag ausführen. Von hier feuern sie auch Raketen auf das Zentrum von Kirkuk.

Kurden schaffen Fakten

Damit verbreiten sie zwar Angst und Schrecken, an den Machtstrukturen ändern sie aber nichts. Denn die Kurden haben mit Rückendeckung aus Erbil Fakten auf dem Boden geschaffen: Sie sind – auch militärisch – der bestimmende Faktor in der Stadt (eine Million Einwohner). Deswegen schickte Bagdad Ende 2012 Spezialkräfte und riskierte damit einen internen Krieg. Die Kurden, deren Sicherheitskräfte mit breiter Brust und der Kurdistan-Fahne auf den Uniformen durch Kirkuk marschieren, konnte das aber wenig beeindrucken.

Sie bauen ihre Positionen weiter aus: In ihren Vierteln finden sich saubere Grünanlagen, Geschäfte sowie IT-Shops säumen die Straßen. Und vor den Stadttoren stampfen sie mithilfe der Petro-Dollar aus der nahen kurdischen Autonomie-Region rasch neue Siedlungen aus dem Boden. In die Wohnungen sollen Leute ihrer Volksgruppe einziehen. Hintergrund: Bei dem seit Jahren verschleppten Referendum über den künftigen Status von Kirkuk soll sich eine eigene Mehrheit ausgehen.

Mit oder ohne Volksentscheid. Für Susan Khoshaba, Parlamentsabgeordnete in Erbil, steht fest, dass „die Kurden ihren Griff auf das Öl-Zentrum niemals freiwillig aufgeben werden“. Und zumindest sicherheitstechnisch hat diese Option für die Bürger Kirkuks eine gewisse Attraktivität. Denn Autobomben-Anschläge wie jener in Mossul kommen in der Autonomie-Provinz nicht vor.

Während der Strom in Bagdad oder Mossul die längste Zeit des Jahres gerade vier Stunden pro Tag fließt, gehen in Erbil die Lichter niemals aus. Die Hauptstadt der autonomen Kurden-Provinz im Nordirak hat sich in den vergangenen Jahren zu einer Boomtown entwickelt. Stabilität und Sicherheit sind die Basis dafür, die Ölvorkommen das Treibmittel für den unglaublichen Take-off einer Region.

An allen Ecken und Enden Erbils schießen neue Gebäude aus dem Boden: Business-Center, Shopping Malls, Hotel-Komplexe. Bis 2015 sollen in der Stadt acht Fünf-Sterne-Hotels hochgezogen werden. Von der Goldgräberstimmung profitiert auch der Österreicher Hubert Czernin, der mit seiner „Czernin Middle East Group“ bis 2015 Projekte im Wert von zwei Milliarden Euro abwickeln wird, darunter eine Luxusabsteige mit 500 Betten. Riesige Freizeitparks locken die wachsende Mittelschicht. In Zakho, Grenzstadt zur Türkei, wurde einer 2012 fertiggestellt, im nahen Dohuk eröffnet einer demnächst.

Auch die OMV hat sich einen Teil des Kuchens gesichert. Seit 2007 ist sie hier tätig und pumpte 700 Mio. Dollar in die Erkundung und Förderung von Öl und Gas. Insgesamt hält der heimische Mineralöl-Konzern Beteiligungen an sieben Feldern. Die Begründung liefert der Ex-Chef von BP: „Das ist die letzte Gegend der Welt, wo Öl einfach zu gewinnen ist“, so Tony Hayward.

Steuerfreiheit

Doch es sind nicht nur die Petro-Konzerne, die nach „Kurdistan“ drängen. Zehn Jahre Steuerfreiheit und ein freier Transfer der Gewinne ziehen Unternehmen unterschiedlichster Branchen an. Vor allem türkische, libanesische, iranische und amerikanische Firmen investieren. Auf dem Erbil International Airport ist die Manager-Dichte hoch, der Standard des neuen Flughafens durchaus westlich.

Die Kurden – lange Zeit von Iraks Ex-Diktator Saddam Hussein unterdrückt – stecken den neuen Reichtum in die Infrastruktur. Die Provinz wird regelrecht umgepflügt. Es entstehen neue, breite Straßen und Highways sowie Wohnungen, ja ganze Dörfer. Daneben Schulen, Spitäler, und öffentliche Gebäude, von denen weithin sichtbar die Fahne „Kurdistans“ weht.

Der Name ist Programm und Antrieb gleichermaßen für die Offensive in der Region. Das Fernziel ist ein eigener Kurdenstaat. Dieser ist derzeit realpolitisch nicht durchsetzbar, das wissen die Verantwortlichen unter Präsident Barzani. Doch mit eigener Bürokratie, eigenem Militär und selbstständiger Vergabe von Öl-Lizenzen, was einen Streit mit Bagdad auslöste, ist man dem Ziel schon sehr nahe gekommen.

Ankara pflegt mittlerweile einen pragmatischen Umgang mit Erbil. Kein Wunder: Von der Aufbruchsstimmung profitieren insbesondere türkische Firmen. Alles, was das konsumhungrige „Kurdistan“ braucht, wird herangekarrt. In der Grenzregion finden sich auf den Straßen fast nur noch Lkw mit türkischen Nummerntafeln.