Nahost: Immer mehr Zeichen für israelische Bodenoffensive im Libanon
Von Sarah Emminger
Als Israels Premier Benjamin Netanjahu vor einem Jahr bei der UNO-Generalversammlung eine Rede hielt, sprach er noch optimistisch von Friedensaussichten im Nahen Osten: „Wir reißen die Mauern der Feindschaft nieder. Wir bringen die Möglichkeit des Friedens in die ganze Region“, sagte er. Zwei Wochen später überfiel die Hamas Israel und tötete rund 1.200 Personen.
Seither sind in dem Krieg, der darauf folgte, nicht nur in Gaza mehr als 40.000 Menschen gestorben, auch zwischen Israel und der Hisbollah im Libanon ist die Lage zuletzt zunehmend eskaliert, mit einer Reihe schwerer Schläge für die vom Iran gestützte Terrororganisation: durch die Tötung mehrerer hochrangiger Kommandeure, die Explosionen von Tausenden Pagern und Walkie-Talkies ihrer Mitglieder und heftige Bombardements. Am Mittwoch wurde dann die erste Hisbollah-Rakete über Tel Aviv abgefangen.
USA und Frankreich drängen auf Waffenruhe
Und die Zeichen stehen auf noch mehr Krieg. Die USA und Frankreich drängen auf eine dreiwöchige Waffenruhe, um Verhandlungen zu ermöglichen. Davon will Netanjahu bisher nichts wissen. Im Gegenteil, die Armee solle mit „voller Kraft“ gegen die Hisbollah weiterkämpfen, so Netanjahus Büro.
Mit jedem Schlag, den die Hisbollah und Israel einander verpassen, wächst auch die Sorge vor einer israelischen Bodenoffensive im Libanon. Israels Armeechef Herzi Halevi ließ bereits wissen, eine „mögliche“ solche vorzubereiten. Die Luftangriffe der vergangenen Tage würden demnach vorrangig darauf abzielen, die Infrastruktur der Hisbollah zu zerstören, um dann einen Einmarsch israelischer Truppen zu erleichtern. Am Mittwoch rief das Militär außerdem zwei Reservebrigaden für Operationen im Norden zusammen. Ziel sei die „Rückkehr“ der 60.000 bis 70.000 Israelis, die wegen des Raketenbeschusses durch die Hisbollah bereits aus dem Norden Israels evakuiert werden mussten.
Laut dem Pentagon steht eine Bodenoffensive trotz dieser Signale „nicht unmittelbar bevor“. Auch Nahostexperte Jan Busse von der Bundeswehr-Universität München erwartet so bald eher keine. Israel wolle nicht, dass es zu einem „umfassenden regionalen Krieg“ komme, sagte er gegenüber der AFP. Vielmehr versuche es, die Schiitenmiliz "durch eine sukzessive Eskalation zum Einlenken" zu bewegen und diese somit zu einer Waffenruhe zu zwingen, ohne aber selbst einer im Gazastreifen zustimmen zu müssen, wie die Hisbollah es fordert. Israel versuche also, die beiden Situationen voneinander zu „entkoppeln“, so Busse. Die Gefahr des „umfassenden regionalen Krieges“ bestehe aber.
"Größere internationale Folgen"
Laut Konfliktforscher Stephan Stetter, ebenfalls von der Bundeswehr-Universität, würde eine israelische Bodenoffensive im Libanon „größere internationale Folgen haben“: „Denn das eigentliche diplomatische Ziel ist ja, dass diese Grenzregion im Süden Libanons dauerhaft befriedet wird“, sagte er zur Tagesschau.
Eine Bodenoffensive würde das in weite Ferne rücken - so, wie die von Netanjahu präsentierten Aussichten auf „Frieden in der gesamten Region“ von vor einem Jahr heute sehr weit weg erscheinen.
Wenn er am Freitag wie angekündigt wieder auf dem Podium der UNO-Generalversammlung steht, will er vor allem über die iranische Bedrohung sprechen, so israelische Medien mit Berufung auf Beamte. Teheran wartet mit dem vom Obersten Religionsführer Ali Khamenei angekündigten Vergeltungsschlag gegen Israel für den Tod von Hamas-Führer Ismail Hanyieh weiter zu.