Politik/Ausland

Nach Merkel-Sager: Europa gegen Trump?

Ein neuer Wandel in der politischen Rhetorik, ein neues Kapitel in der transatlantischen Beziehung - manche US-Medien orten dieser Tage gar eine Zeitenwende. Grund dafür: Ein Satz, den Angela Merkel gestern in München bei ihrem CSU-Wahlkampfautritt im Bierzelt los wurde: "Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, sind ein Stück vorbei. Das habe ich in den letzten Tagen erlebt."

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Eine Erkenntnis, die der Bundeskanzlerin scheinbar nach ihremTreffen mit Donald Trumpbei der NATO in Brüssel und mit den sieben größten Industrienationen (G7) in Taormina, Sizilien, gekommen ist. Eine Erkenntnis, die manchen zu spät kommt.

Noch nie so uneins

Immerhin waren die Positionen des US-Präsidenten absehbar und er hat genau das getan, was er im Wahlkampf ankündigte: Er wies die NATO in die Schranken, rang ihnen Zugeständnisse ab, wischte das Flüchtligssthema von der Agenda der G7 – und mit seiner Entscheidung in puncto Pariser Klimaabkommen, das die Vereinigten Staaten unterschrieben haben, will er sich noch bis Ende der Woche Zeit lassen. Noch nie war man sich bei einem Gipfeltreffen so uneins. Und obwohl dies mit einem Partner wie Trump nicht überrascht, setzte die Kanzlerin mit ihrem Statement doch ein deutliches Zeichen. Was dies für Europa bedeutet, wird sich noch zeigen.

Warnschuss

Politologe Reinhard Heinisch ist überzeugt, dass es keine umgehenden programmatischen Änderungen und Initiativen von Seiten der EU geben wird. "Ich glaube, Europa kann ohne die USA nicht für seine eigene Sicherheit sorgen, das ist völlig illusorisch." In Merkels Zitat sieht er vielmehr einen Warnschuss: "Es ist ein Signal an die zweite Reihe hinter Trump, sein Sicherheitskabinett, um ihnen zu zeigen, dass es so nicht weitergehen kann. Sie will damit erreichen, dass auf zweiter Ebene doch mehr Anstrengungen gemacht werden, eine Zusammenarbeit zu erreichen." Andererseits ist es ein Zeichen nach innen - nach Europa-, noch näher zusammen zurücken. "Merkel setzt stark auf ihren Verbündeten Frankreich und eine Zusammenarbeit." Allerdings weiß sie auch, dass sie dem französischen Präsidenten Macron entgegenkommen muss - aus dieser Sicht ist es auch ein Zeichen an die eigene Basis und eine Art Vorwarnung, nicht zu blockieren, etwa in Wirtschaftsfragen, erklärt Heinisch.

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"Eine düstere Auslegung der transatlantischen Bindungen, die das Fundament der Sicherheit des Westens in Generationen seit dem Zweiten Weltkrieg waren"


Die Washington Post bescheinigte der Kanzlerin allerdings "eine düstere Auslegung der transatlantischen Bindungen, die das Fundament der Sicherheit des Westens in Generationen seit dem Zweiten Weltkrieg waren". Merkel habe sich eindeutig gegen Trump gewandt, so das Blatt: "Sie hat ihn glasklar zurückgewiesen, ohne ihn ein einziges Mal beim Namen zu nennen." Die New York Times ist der Ansicht: "Die Kanzlerin, Europas einflussreichste Anführerin, schaut bereits über Trump hinaus."

Erkennbar enttäuscht habe sie aus den Begegnungen beim G7-Gipfel geschlossen, dass die USA unter Trump ihrem Land und ihrem Kontinent nicht mehr der verlässliche Partner seien, an dem man sich früher wie automatisch orientiert habe.

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Der New Yorker Medienwissenschaftler Jeff Jarvis kommentierte Merkels Ansprache aufTwitter: "Dieses ist eine bedeutende Rede in der Restrukturierung der Weltmächte. Wer bei Sinnen ist, muss ein starkes Europa unterstützen, um Russland zu kontern - und Trump."
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Irritation der amerikanischen Partner

Mit ihrer Ansicht ist Merkel nicht alleine. Unterstützung bekommt sie vom Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung, Jürgen Hardt. Er wirft der US-Regierung eine
Irritation der amerikanischen Partner vor. "Noch nie gab es vier Monate nach Amtsantritt eines neuen US-Präsidenten so viel Unklarheit über den politischen Kurs und noch nie so viele Widersprüche in den Aussagen des Präsidenten", sagte der CDU-Politiker am Montag der Nachrichtenagentur Reuters. "Das schwächt Amerika und irritiert Partner."

Donald Trump habe viel angekündigt und wenig umgesetzt. Republikaner und Demokraten im Kongress würden aber auch sicher nicht alle seine Schritte mitgehen, etwa bei einer isolationistischen Handelspolitik. "Das heißt für uns zuallererst: Stärkung der Europäischen Union", sagte Hardt. Dennoch sei es klug, sich auf die Unwägbarkeiten durch die Festigung bestehender Allianzen vorzubereiten. "Ich denke, die Welt blickt heute mehr auf Deutschland und Europa als in früheren Jahren."

Politologe Reinhard Heinisch ist überzeugt, dass die Krise mit Trump Angela Merkel nicht schaden wird. Ganz im Gegenteil: Sie hilft Merkel, ihre Stärke auszuspielen. "In einer unruhigen Zeit, wenn sich Europa auf niemanden verlassen kann, ist sie der Fels in der Brandung."

Und auch ihre Konkurrenten hecheln bereits hinterher: SPD-Vorstand Martin Schulz verlangt nun öffentlich eine entschiedenere Haltung Europas gegen Trump: "Gegen einen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, der ja andere demütigen will. Der ja im Stile eines autoritären Herrschers auftritt."