Politik/Ausland

Noch keine Wende im Kampf gegen IS

Die blutgetränkte Fahne der Terror-Miliz "Islamischer Staat" (IS) war gestern. Seit dieser Woche weht in Kobane wieder die der Kurden. Nach monatelanger, verlustreicher Schlacht obsiegten die Verteidiger. Sind deswegen die Tage des IS nun gezählt?

Mitnichten, meint Brigadier Walter Feichtinger, Leiter des "Instituts für Friedenssicherung und Konflikt- management" an der österreichischen Landesverteidigungsakademie. Dass die Extremisten die nordsyrische Grenzstadt verloren haben, sei zwar "von großer Symbolkraft und für die Moral der Truppe ein Rückschlag", eine entscheidende Wende im Kampf gegen den IS kann der Offizier im KURIER-Gespräch aber nicht erkennen.

Kobane sei ein Sonderfall. Motivierte und strategisch gut geführte Bodentruppen hätten in Allianz mit US-geführten Bombardements – 80 Prozent aller Luftschläge in Syrien galten der Kobane-Region – zu diesem Erfolg geführt. "Doch diese Konstellation sehe ich anderswo kaum", analysiert Feichtinger.

Kobane liegt in Schutt und Asche

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IS-Hochburg Mossul

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Am ehesten könnte die zweitgrößte irakische Stadt, Mossul, die IS-Kämpfer im Vorjahr handstreichartig an sich rissen, ins Wanken geraten. Dort sind die Peschmerga, die Streitkräfte der autonomen Kurden-Provinz im Norden des Zweistromlandes, auf dem Vormarsch. Sie sollen sich bis auf 20 km genähert und wichtige Nachschubwege des IS sowie Routen für die Versorgung der Stadt gekappt haben. "Mossul wäre sehr interessant für die Kurden, es würde ihren Machtbereich deutlich ausweiten, doch auch die irakische Armee will die Stadt zurückerobern", so Militärexperte Feichtinger. Er geht nicht davon aus, dass dieses Vorhaben einer Gruppe allein gelingen könnte – zumal der IS sehr lange Zeit hatte, sich auf eine Gegenoffensive vorzubereiten. Den baldigen Beginn einer Operation "Free Mossul" sieht der Brigadier nicht.

Sie wäre ungleich verlustreicher als die Schlacht um Kobane. Ihn dieser ließen mehr als 1000 Dschihadisten ihr Leben, zudem 460 kurdische Kämpfer sowie Dutzende Zivilisten. Vor diesem Hintergrund könnte es sich auch um einen taktischen Rückzug der "Gotteskrieger" gehandelt haben, meint Feichtinger. "Sie haben professionelle Militärplaner. Weitere Kräfte zu opfern, wäre unklug, wenn man sie anderswo braucht", erläutert der Offizier. Immerhin kontrolliert der IS ein Gebiet der Größe Großbritanniens – und hat am Freitag die von Kurden gehaltene Stadt Kirkuk angegriffen. Selbst nach fünf Monaten massiver Luftangriffe hat das sogenannte "Kalifat" nur ein Prozent seines Territoriums eingebüßt.

Iraks Armee ist schwach

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Ein Hauptgrund dafür: Die Schwäche der irakischen Armee. Und das hat mehrere Gründe. Die Streitkräfte wurden nach dem Sturz von Diktator Saddam Hussein (2003) von 400.000 mehr als halbiert. Und davon gibt es mindestens 50.000 "Geistersoldaten", die nur auf dem Papier existieren, um korrupten Offizieren das Salär aufzubessern. Zudem hatte die frühere Regierung unter dem schiitischen Premier al-Maliki fähige sunnitische Kommandanten, die zuvor das Saddam-Regime trugen, durch Schiiten ersetzt. Und die verbliebenen sunnitischen Kader in der Armee hatten wenig Ansporn, sich für die schiitischen Machthaber in Bagdad ins Zeug zu legen – bei der Eroberung Mossuls durch den IS traten sie schnell die Flucht an.

Die USA kalkulieren drei Jahre, bis die irakischen Verbände neu aufgestellt sind und als schlagkräftige Truppe dem IS die Stirn bieten können. Feichtinger ist skeptisch, ob das gelingen kann. "Zumindest ebenso wichtig wäre es, die sunnitischen Stämme, die sich teilweise mit dem IS verbündet haben, zu gewinnen. Das hätte einen doppelten Effekt: Der IS würde geschwächt und die Anti-Terror-Allianz durch kampferprobte Männer gestärkt." Aber, so der Brigadier, "der Konflikt wird uns noch lange beschäftigen".