Misstrauensvotum: May kämpft bis zuletzt ums Vertrauen
"Die Geier kreisen schon", mit dieser Schlagzeile auf der Titelseite mit dem Bild von der britischen Premierministerin Theresa May starteten Daily-Mail-Leser in den Mittwoch. Und noch ehe Schulen, Ämter und Geschäfte im Land ihre Tore öffneten, war es fix: Theresa May muss sich noch heute einem Misstrauensvotum in ihrer Tory-Fraktion stellen. Die 48 notwendigen Eingaben dazu sind erreicht, am Abend die 315 konservativen Abgeordneten am Zug.
Nur eine Stunde nach der Bestätigung dieser schlechten Nachricht für sie stellte sich May vor ihre Londoner Residenz in Downing Street 10 den Fernsehkameras – und zeigte sich erneut kämpferisch: „Ich werde mich dieser Abstimmung mit allem, was ich habe, entgegenstellen.“ Sie betonte, das Interesse des Landes müsse im Fokus stehen, nicht parteipolitisches Kalkül. Ein Machtwechsel jetzt sei nur ein Risiko für das Land, die Zeit bis zum geplanten Ausstieg aus der EU am 29. März 2019 knapp. Das würde den Brexit verzögern oder sogar stoppen, betonte May. „Ich stehe bereit, diesen Job zu Ende zu bringen.“
Schreiduelle
Zur Mittagszeit stellte sich die Regierungschefin den Fragen im Parlament. Es ging heiß her – und es wurde laut. Gegner und Befürworter der Premierministern überschrien sich gegenseitig. Der Speaker, quasi der Ringrichter in Westminister, schaute lange zu, aber als Oppositionschef Jeremy Corbyn eine besonders lautstarke Attacke gegen Mays „Chaos“ durch den Saal brüllte, war Schluss damit. Viel gemäßigter ging es nach seinem Ordnungsruf aber auch nicht zu. May musste sich einmal mehr im Parlament für ihre Brexit-Bemühungen auslachen lassen.
Rede ihres Lebens
Vor der geheimen Abstimmung am Abend sollte May auch noch eine Rede im Parlament halten, „die wichtigste Rede ihres Lebens“, wie der politische Chefkorrespondent der BBC betonte. Er wollte keine Wetten auf den Ausgang der Abstimmung abgeben. Zum einen gibt es eben nicht nur in der Opposition viel Kritik an ihrem Verhandlungsergebnis mit der EU, zum anderen hat May mit ihrer Verschiebung der Abstimmung darüber im Parlament allseits Wut hochkommen lassen. Ärger löste neben der Missachtung des Parlaments auch ihre offensichtliche Taktik aus, eine Entscheidung im Unterhaus so lange hinauszuschieben, bis die Parlamentarier wegen der knappen Zeit bis zum EU-Ausstieg doch dafür stimmen würden. Denn einen harten Brexit ohne jedes Abkommen will kaum jemand.
Am Nachmittag zeichnete sich für die zähe Regierungschefin ein Silberstreif ab. Laut einer Recherche der Nachrichtenagentur Reuters hatten zumindest 158 Tory-Abgeordnete ihre Unterstützung für die Premierministerin bekundet. Womit „Magic May“ wieder einmal ihren Kopf aus der Schlinge ziehen hätte können. Und sie machte im letzten Moment ihren innerparteilichen Gegnern ein Angebot: Jetzt müsse sie zunächst weitermachen, dafür werde sie bei der kommenden Parlamentswahl (regulär 2022) nicht mehr antreten. Neuwahlen oder ein zweites Brexit-Referendum schloss sie kategorisch aus.
Ihr Justizminister Michael Grove stützte seine Chefin via BBC: Die Zeit sei knapp, das Land könne sich jetzt nicht auch noch ein Machtvakuum an der Spitze leisten. May versuche ja, mit der EU noch Änderungen durchzubringen.
Keine Brexit-Mehrheit
Zur Erinnerung: Großbritannien verlässt mit 29. März 2019 die EU. Das mit Brüssel errungene Abkommen, das die wirtschaftlichen und politischen Folgen abfedern soll, liegt auf dem Tisch – dem muss aber noch das britische Parlament zustimmen. Ohne Zustimmung kein Deal und damit ein „harter Brexit“. Doch für den Deal zeichnet sich keine Mehrheit ab – Vertrauensvotum hin oder her.