Migrationsexpertin: "Wir müssen endlich zwei Systeme schaffen"
Die Wahlen in Österreich sind geschlagen, Landtagswahlen in Deutschland ebenso, in Italien ist die Regierung umgebildet, in Frankreich stehen zumindest nicht unmittelbar größere Urnengänge bevor. Die beste Zeit, möchte man meinen, um in der Europäischen Union das leidige Thema Asyl und Migration anzugehen, das oft innenpolitisch stark instrumentalisiert wird.
Am Dienstag treffen sich die EU-Innenminister. Nach der Einigung von Deutschland, Frankreich, Italien und Malta auf einen vorübergehenden Verteilungsmechanismus, der aber erst mit weiteren Länderzusagen in Kraft treten kann, wollen Horst Seehofer und seine Amtskollegen versuchen, endlich eine Lösung für ein gemeinsames europäisches Asylsystem zu finden. Zu besprechen sind die Themen Rückführung, einheitliches Asylverfahren, Außengrenzschutz und Verteilung.
Für ÖVP-Chef Sebastian Kurz geht die Entwicklung in eine falsche Richtung. Er lehnt die aktuelle Diskussion zur Verteilung ab. Offene Häfen, so der möglicherweise künftige österreichische Kanzler, senden ein falsches Signal an die Schlepper aus.
Flexible Schlepper
Dem widerspricht Migrationsexpertin Melita Sunjic. „Es kursiert die falsche Annahme, dass Flüchtlinge wegen Pullfaktoren kommen“, sagt sie im KURIER-Gespräch. Vielmehr entscheiden diese aber erst auf dem Weg, wo es überhaupt hingehen soll. „Die bisherige EU-Politik zielt ausschließlich auf das Abschalten der Pullfaktoren ab.“
Das Schlepper-Business jedenfalls sei unglaublich flexibel und könne sich auch an restriktve Maßnahmen in der EU-Migrationspolitik anpassen, so Sunjic, die lange beim UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR tätig war und bis heute viel in den Communities von Migranten sowie in den Herkunftsländern Fluchtursachen erforscht.
„Schlepper-Banden sind teils internationale Kartelle, die mit Drogen oder Waffen handeln, für die Schlepperei schlichtweg ein zusätzlicher Geschäftszweig ist.“ Es handle sich teils um „Menschenhändler“, die nicht durch „Signale aus der Politik“ abgeschreckt werden könnten.
„Nicht, wenn man die Reise erschwert, sondern, wenn man den Menschen Perspektiven in der Heimat gibt, bleiben sie dort“, sagt Sunjic. Immerhin gebe es mittlerweile „etwas mehr Verständnis“ in der EU, was Partnerschaften mit Afrika angeht. „Aber es passiert noch zu wenig.“ Das Problem in vielen Afrikanischen Staaten sei, dass das Geld – etwa durch Korruption – versickert.
Doch am allerwichtigsten, so die Expertin, sei, dass man auch in der EU-Politik „endlich zwischen Asyl und Migration unterscheidet“. „Viele in Afrika kennen das Konzept ’Asyl’ gar nicht. Die wollen in Europa einen befristeten Aufenthalt, nach dem sie mit dazugewonnenen Fähigkeiten und mehr Geld zurückkehren können, um in der Heimat etwas aufzubauen“, habe sie vor Ort erforscht.
Im aktuellen System blockieren aber diese Menschen das Asylsystem und erschweren so die schnelle Bearbeitung von Asylanträgen jener Menschen, die tatsächlich vor Krieg und Verfolgung geflüchtet sind. Zudem seien Asylbehörden chronisch unterbesetzt. Sunjic empfiehlt der EU zwei unabhängige Systeme, um Asylverfahren zu beschleunigen.