Politik/Ausland

Merkel: „Etwas besser als die anderen!“

Oranienburg, eine der schön renovierten Ex-DDR-Städte, 50 Kilometer nördlich von Berlin: In frühherbstlicher Mittagshitze warten immerhin an die 2000 Leute auf „die Kanzlerin“, wie CDU-Plakate versprechen. Denn es ist Samstag, und im Speckgürtel von Berlin ist Brandenburg, das letzte von SPD und Linkspartei regierte Land, nicht ganz so rot. Oranienburg ist eine Ausnahme auf Merkels Wahlkampf-Tour durch den bevölkerungsreicheren Westen und Süden.

Dafür hat die hier in der Nähe Aufgewachsene Heimvorteil: „Im Studium musste ich hier umsteigen, und weil die Pausen immer lang waren, bin ich in den Ort gegangen.“ DDR-Nostalgie, für die sie mehr Lacher bekommt als in den 40 Minuten danach.

„Gestern beim G-20-Gipfel in St.Petersburg, heute in Oranienburg“, hatte die Moderatorin den Amtsbonus der Kanzlerin ausgespielt. Und sie für das Versäumen des Fußballspiels gegen Österreich bedauert. Doch Merkel schildert, „obwohl ich schon müde war“, detailliert die deutschen Tore. Auch das gibt Applaus, sogar von dem Viertel der Zuhörer, das wohl nicht CDU-nah ist. Lautstarke Störer wie die „Grüne Jugend“ und andere Linksaktivisten wie zu Beginn ihres Wahlkampfes fehlen ohnehin.

Auf Österreich gewartet

Merkel berichtet über den G-20-Gipfel, die Gespräche „zum Stopfen von Steuerschlupflöchern für Konzerne“ , vor allem aber über Syrien: Sie habe mit der Unterschrift für die Obama-Unterstützung „gewartet, bis auch kleine Länder wie Luxemburg und Österreich in Position sind.“ Das zieht: Misstrauen gegen Konzerne und die USA wird von SPD und „Linke“ hier populär gehalten.

Gegner erwähnte Merkel früher selten, heuer tut sie es öfter. Nur SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück nennt sie nie. Aber auch nicht den Koalitionspartner FDP: Heuer kämpft jeder für sich allein.

Diesen rhetorischen Luxus leistet sie sich. Ansonsten hält sie die Aura als Europas seit acht Jahren wichtigste Figur klein: Weltläufiges ist hier weder in Kleidung, Sprache oder Auftreten zu orten.

„Ihre Stimme bestimmt, wie Deutschland 2017 dasteht – und Ihre persönliche Zukunft“, hebt ihre Rede an. „Was können wir zusagen? Nicht alles, zum Beispiel nicht, an welchem Tag sie Fleisch essen sollen“. Die Lacher zeigen: Der Seitenhieb auf den „veggie day“ der Grünen sitzt. Applaus. Auch neue Arbeitsplätze könne „die Politik nicht bestimmen, das tun die Menschen“. Politik setze nur die Rahmenbedingungen. Und da seien „Steuererhöhungen Gift“. Es gebe „nicht nur 1,5 Millionen mehr Arbeitsplätze als vor vier Jahren, auch die Löhne steigen.“ Applaus.

Das täten sie noch stärker, „wenn SPD und Grüne nicht im Bundesrat die Koalitionsreform zur Milderung der kalten Steuerprogression blockierten! Wir werden das nach der Wahl machen.“

Politiker sollten auch keinen bundesweit einheitlichen Mindestlohn festsetzen, kontert Merkel einen der Slogans der Opposition: „Wir glauben, dass Gewerkschaften und Unternehmer die Löhne vor Ort aushandeln sollen, die wir erst danach verpflichtend machen.“

Dann erklärt sie den eigenen Wahlschlager der Erhöhung der Mütter-Renten: Wer etwa vor 1992 zwei Kinder erzog, soll 600 Euro mehr im Jahr bekommen. Applaus.

„Gut mit Geld umgehen“

Das könne sich Deutschland leisten, weil es „etwas besser ist als andere“. Das Budget sei ausgeglichen, „2015 werden wir erstmals sogar ganz wenig Schulden zurückzahlen.“ Denn „wir müssen davon wegkommen, immer mehr auszugeben als wir einnehmen, wie es SPD und Linkspartei in den Ländern tun: Sie können mit Geld nicht umgehen. Wir schon.“

Womit sie bei der Euro-Krise ist: „Vor 12 Jahren war Deutschland der ,Kranke Mann Europas‘, heute sind wir sein Wachstums- und Stabilitätsanker, obwohl auch bei uns für manche Hartz IV schwer war.“ Merkel argumentiert gegen die Euro-kritische „Alternative“, ohne sie zu nennen: „Wir retten den Euro, denn es geht um unsere Arbeitsplätze – und weil wir solidarisch sind. Aber nur, wenn andere reformieren: Das ist unser Preis.“ Applaus.

Dann noch ein Angriff auf „die SPD: Sie will, dass wir auch die Schulden der anderen zurückzahlen, das ist der falsche Weg!“ Applaus.

„Wer das nicht möchte, muss CDU wählen. Wer meint, die Wahl ist schon gelaufen, kann am Morgen danach aufwachen mit Rot-Rot-Grün.“ Applaus. „Gehen Sie wählen, unterstützen Sie mich als Ihre Kanzlerin auch für die nächsten vier Jahre!“

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Die Umfragen der CDU und insbesondere die persönlichen Werte der Kanzlerin sind noch besser als 2009. Sie haben auch nicht durch das TV-Duell vor einer Woche gelitten, wo ihr SPD-Herausforderer Peer Steinbrück eine bessere Figur als bis dahin gemacht hatte. Doch die Sorge Merkels und ihrer Partei ist größer als früher.

Zu unsicher sind inzwischen die Umfragen: Die Befragung der Bürger nur über Festnetztelefone verzerrt immer mehr das Stimmungsbild, auch sind noch mehr Befragte als früher unentschlossen, wen sie oder ob sie überhaupt wählen sollen.

Dazu kommt die neue Euro-kritische Partei „Alternative für Deutschland“. Die Institute räumen inzwischen immer mehr ein, dass sie die AfD nur schwer einschätzen können. Auch wenn die meisten sie nur zwischen drei und vier Prozent taxieren, fehlen für eine verlässlichere Beurteilung Vergleichszahlen von früher wie bei den anderen Parteien. Die AfD hat jedenfalls das größte Potenzial für eine Überraschung am Wahlabend: den Einzug in den Bundestag.

Ihr Chef Bernd Lucke hatte zwar bisher ausgeschlossen, mit einer Partei zu koalieren, die die Euro-Rettungspolitik Merkels fortsetzen will. Davon rückte er in den letzten Tagen aber leicht ab und machte der CDU gewisse Avancen. Merkel reagiert darauf nicht: „Diese Frage stellt sich nicht.“

Allerdings nimmt sie auch mit keinem Wort zu einer Großen Koalition mit der SPD Stellung, die nicht nur bei einem AfD-Einzug in den Bundestag als wahrscheinlichste Option gilt. Denn die AfD schwächt am ehesten die jetzige Koalition mit der FDP.

Merkel warnt aber nicht nur die Wähler vor dem Gefühl, dass angesichts der Umfragen „alles schon gelaufen“ sei, sondern vor allem die eigenen Anhänger und Funktionäre. Auch bei einer CDU-Veranstaltung in Düsseldorf am Sonntag, wo die 12.000 Hallen-Plätze nur zur Hälfte gefüllt werden konnten, warnte Merkel vor „bösem Erwachen“. Auch deshalb nehmen die langjährigen Beobachter der Wahlkämpfe nun eine zunehmend klarere Sprache von ihr wahr, die auch Gegenangriffe enthält.