Merkel kritisiert Wiens Obergrenze: "Nicht mein Europa"
Von Evelyn Peternel
Im Oktober war die Frage noch eine ganz andere. "Schaffen wir das?", fragte Moderatorin Anne Will die deutsche Kanzlerin da noch recht zaghaft. Jetzt, vier Monate später, hieß es: "Bleiben Sie bei Ihrer Linie, Frau Merkel?" Die Antwort blieb dieselbe. "Ja!", sagte Angela Merkel am Sonntagabend im ARD-Interview in sehr bestimmtem Ton. Überhaupt war die Tonlage, die die deutsche Kanzlerin anschlug, genauso emotional und genauso unbeirrt wie damals – mit einem kleinen Unterschied: Der Ärger über Österreich, der war neu.
"Der andere leidet"
"Wenn der eine seine Grenze definiert, muss der andere darunter leiden. Das ist nicht mein Europa", sagte sie kopfschüttelnd auf die Frage, was sie von der kürzlich beschlossenen Obergrenzen-Politik Wiens halte. Überhaupt stimme sie unzufrieden, dass Österreich "einseitig" agiert habe und dass Wien den Schwenk in seiner Flüchtlingspolitik genau vor dem EU-Rat beschlossen habe. Auch die Tatsache, dass Griechenland nicht in die Politik Wiens miteinbezogen worden sei, ärgere sie. "Griechenland hat man einfach außen vor gelassen", sagte Merkel mehrfach. "Man kann das Land ja nicht einfach im Stich lassen".
Dass Österreich und die Balkanstaaten Berlin mit ihrer neuen Grenzpolitik möglicherweise geholfen hätten, da nun ja kaum mehr Flüchtlinge an der deutschen Grenze stünden, wollte Merkel nicht gelten lassen. "Nicht, wenn man die Bilder aus Griechenland sieht", sagte sie darauf und wiederholte, wie sehr ihr nationale Maßnahmen widerstreben: "So werden sie nie Erfolge erzielen", so ihre Botschaft in Richtung Wien. Mikl-Leitners Reaktion lesen Sie hier.
"Bin einfach ehrlich"
Damit gab Merkel auch eine eindeutige Antwort darauf, was sie von der gleichlautenden Forderung aus Bayern hält – auch dort macht man ja massiv Stimmung für Obergrenzen im Stile Österreichs. "Da krampfe ich nicht, da bin ich einfach ehrlich", sagte sie – und setzte nach: "Ich will nichts versprechen, was drei Wochen hält und danach nicht mehr." Dafür gab es erstmals Applaus.
Ebenso wenig nachsichtig gab sie sich auch, was die Forderungen des anderen Koalitionspartners angeht. SPD-Chef Gabriel hatte am Wochenende wegen der hohen Ausgaben für die Flüchtlingskrise einen "Solidarpakt" für die einheimische Bevölkerung ins Spiel gebracht – er argumentierte, dass sich der Satz "für die macht ihr alles, für uns macht ihr nichts" bereits in die Mitte der Gesellschaft gefressen habe. Die CDU hatte dieses Ansinnen schon vor der Sendung abgelehnt, Finanzminister Schäuble nannte es gar "erbarmungswürdig"; Merkel fügte dem nur ein leichtes Kopfschütteln hinzu. Die SPD mache sich und das, was die Koalition schon geleistet habe, klein, sagte sie. Mehr Verständnis brachte sie für jene auf, die mit ihrer Politik nicht zufrieden sind. Sie könne sogar verstehen, dass 81 Prozent der Bevölkerung laut Umfrage der Meinung sind, sie und ihre Mannschaft hätten die Lage nicht mehr im Griff, sagte Merkel – schließlich sei das Thema ja nach wie vor auf dem Weg der Lösung, und das dauere eben. "So lange die Menschen den abschließenden Erfolg nicht sehen, werden sie das sagen."
Kein Plan B
Dass sie deshalb aber auf einen Plan B spekuliere, verneinte sie mit Nachdruck. "Es ist meine verdammte Pflicht und Schuldigkeit, dass dieses Europa einen gemeinsamen Weg findet", sagte sie emotional. Es sei nicht die Zeit, über Alternativen nachzudenken; und das scheint auch für einen Rücktritt zu gelten. Was sie mache, wenn der EU-Gipfel scheitere? "Dann muss ich eben weitermachen."