Politik/Ausland

Flüchtlingskrise treibt Briten in EU-Austritt

Bisher hatten sie sich auf Nörgeln in den Medien und laute Zwischenrufe in den Sitzungen des Londoner Unterhauses beschränkt. Jetzt aber haben die EU-Gegner in der regierenden konservativen Partei ihrem Premier eine schmerzhafte Niederlage bereitet. Erstmals hatte David Cameron eine Mehrheit gegen sich, weil knapp 40 konservative Abgeordnete lieber gemeinsame Sache mit der Opposition machten.

Es ging um die Volksabstimmung über die britische EU-Abstimmung, die Cameron schon im kommenden Jahr abhalten will – bis spätestens 2017 muss sie ja ohnehin stattfinden. Britische Gesetze verbieten es Regierungsmitgliedern vor einer solchen Volksabstimmung öffentlich Stellung zu beziehen. Cameron, der ja Großbritannien in der EU halten will, hatte eine Ausnahmeregelung beantragt – und wurde von seiner eigenen Partei niedergestimmt.

Mehrheit gekippt

Ein kleiner, aber wichtiger Sieg für die EU-Gegner. Denn die haben nicht nur im Londoner Unterhaus, sondern auch bei der Bevölkerung derzeit Rückenwind. Jüngste Umfragen geben den Befürwortern eines EU-Austritts erstmals eine Mehrheit. Ein Schock nicht nur für die Regierung, sondern auch für die exportorientierte britische Industrie, für die ein EU-Austritt eine Katastrophe wäre.

Hauptverantwortlich – auch das geht aus den Umfragen klar hervor – ist das Thema, das auch Großbritannien in den letzten Wochen beherrscht: Die Flüchtlingskrise. Britische Medien haben eine regelrechte Hysterie rund um den Eurotunnel durch den Ärmelkanal entfacht: Es geht um jene geschätzten 3000 Migranten, die in den improvisierten Lagern rund um die französische Hafenstadt Calais ausharren und auf ihre Chance hoffen, es durch den Tunnel nach Großbritannien zu schaffen – unter der Ladeplane eines Lkw oder zu Fuß.

Billigjobs locken

Es sind gerade einmal ein paar Hundert von ihnen, die es in den letzten Monaten tatsächlich auf die Insel geschafft haben. Eine verschwindende Minderheit im Einwandererstrom. Fast 600.000 Neuankömmlinge hat das Land im Vorjahr verzeichnet. Der Großteil aber stammt aus den EU-Mitgliedsländern Osteuropas oder aus ehemaligen britischen Kolonien in Afrika, oder Südasien. Die Menschen reisen mit dem dort relativ einfach erhältlichen Touristenvisum in Großbritannien ein und bleiben einfach, auch nachdem dieses abgelaufen ist. Großbritanniens ebenso großer wie schlecht kontrollierter Markt für Billiglohn-Jobs macht es ihnen möglich, zumindest zu überleben. Das allerdings in unaufhörlich anwachsenden, ärmlichen Ausländervierteln am Rand großer Industriestädte wie Birmingham oder Glasgow.

Cameron hat schon nach seinem ersten Wahlsieg 2010 angekündigt, diese Einwanderung auf 100.000 Menschen zu beschränken, ist aber gescheitert. Perfekte Munition für EU-Gegner wie den Rechtspopulisten Nigel Farage und seine UKIP-Partei, die der Regierung Inkonsequenz und Schwäche gegenüber der EU vorwerfen.

Um aus der Defensive zu kommen hat der Premier angekündigt, eine umfassende Reform der EU im Sinne Großbritanniens durchzusetzen. Im Klartext: Mehr Macht und Eigenständigkeit für die Nationalstaaten, weniger für die EU.

Die verpflichtende Quote zur Aufnahme von Flüchtlingen, auf die Deutschland drängt, macht es Cameron noch schwerer Kurs zu halten. Man will die EU-Partner, von denen man ja Zugeständnisse will, nicht vor den Kopf stoßen, andererseits aber zuhause nicht als Regierungschef gelten, der die Grenzen des Landes nicht dicht halten kann. Jetzt hat der Premier überraschend angekündigt, 20.000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen. EU-Gegner wie Farage wittern schon die Gefahr: IS-Terroristen wären da sicher darunter.