Politik/Ausland

Brexit-Aufschub: Kurze Verschiebung für Donald Tusk möglich

Die britische Premierministerin Theresa May hat bei der EU einen Aufschub des Austritts ihres Landes aus der Union bis 30. Juni beantragt. Sie habe nicht die Absicht, den Brexit darüber hinaus noch einmal zu verschieben, ergänzte sie. Die Regierung plane, nach dem bevorstehenden EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag einen dritten Anlauf zu unternehmen, für ihren Brexit-Vertrag im Unterhaus eine Mehrheit zu bekommen.

EU-Ratspräsident Donald Tusk macht eine Verschiebung des Brexit von der Annahme des Austrittsvertrags im britischen Unterhaus abhängig. Eine kurze Verschiebung sei aus seiner Sicht möglich, wenn die britischen Abgeordneten sich für das Abkommen mit der EU aussprächen, sagte Tusk am Mittwoch in Brüssel.

Tusk: Kein EU-Sondergipfel vorgesehen

Allerdings werfe das neue Datum eine Reihe ernster juristischer und politischer Fragen auf. Kein Problem sieht Tusk darin, Zustimmung der übrigen 27 Länder für die letzten Nachbesserungen des Vertragspakets von voriger Woche zu bekommen.

Derzeit erwarte er keinen Sondergipfel kommende Woche, sagte Tusk weiter. Die Entscheidungen der EU-Staats- und Regierungschefs beim Gipfel könnten im schriftlichen Verfahren unter Dach und Fach gebracht werden. Sollte es nötig werden, werde er aber auch nicht zögern, kommende Woche noch einmal nach Brüssel zu laden.

Man habe jetzt den kritischsten Punkt des Austrittsverfahrens erreicht, sagte Tusk. Die Chancen für einen endgültigen Erfolg erschienen derzeit schwach, vielleicht sogar illusionär. Aber: "Wir können nicht aufgeben, eine Lösung zu suchen", sagte Tusk.

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Juncker warnt vor Verschiebung nach 23. Mai

Nach Aussagen von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker muss Großbritannien bei jeder Brexit-Verschiebung auf die Zeit nach den EU-Wahlen Ende Mai an der Abstimmung teilnehmen.

Juncker habe May am Mittwoch in einem Telefongespräch darauf hingewiesen, dass das Vereinigte Königreich bei einer Verlängerung der EU-Mitgliedschaft über den 23. Mai hinaus an den Wahlen zum Europaparlament vom 23. bis zum 26. Mai teilnehmen müsse, sagte eine Kommissionssprecherin am Mittwoch.

May sagte dazu, niemand habe ein Interesse daran, dass Großbritannien an der Europawahl teilnehme. Die Vorstellung, dass in Großbritannien neue Europa-Abgeordnete gewählt würden, sei inakzeptabel.

EU-Partner stellen Bedingungen für Aufschub

Frankreichs Außenminister Jean-Yves le Drian erklärte, ohne eine Garantie von Premierministerin Theresa May, dass sie ihr Abkommen doch noch durchs Parlament bringen werde, werde der Gipfel einen Aufschub ablehnen. "Unsere Botschaft ist eindeutig: ratifiziert das Abkommen oder tretet ohne Abkommen aus", sagte er vor Abgeordneten. Einer Verschiebung des Austrittstermins müssen alle 27 EU-Partner zustimmen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker brachte bereits einen Sondergipfel in der kommenden Woche ins Gespräch.

   Neun Tage vor dem geplanten Austrittstermin reichte May bei der EU den erwarteten Antrag auf den Brexit-Aufschub ein. In einer turbulenten Unterhaus-Sitzung sagte May, sie sei nicht bereit, den Austritt über den 30. Juni hinaus zu verschieben. Die Regierung plane, nach dem EU-Gipfel einen dritten Anlauf zu unternehmen, für ihren Brexit-Vertrag im Unterhaus eine Mehrheit zu bekommen. Sollte diese zustande kommen, werde die Verschiebung dem Unterhaus Zeit verschaffen, die Ausführungsgesetze zu beraten. "Wenn nicht, wird das Unterhaus entscheiden müssen, wie es weitergehen soll." Die Verschiebung des Brexits schließe die Option eines ungeregelten Austritts nicht aus.

EU-Kommission sieht ernsthafte Risiken

Die EU-Kommission sträubt sich gegen eine Brexit-Verschiebung bis zum 30. Juni. Sie sieht "ernsthafte rechtliche und politische Risiken" für die Union, wenn diese einer Verschiebung bis Ende Juni zustimmt. Dies geht aus einem internen Dokument vor.

In einem Papier für den bevorstehenden EU-Gipfel nennt die Kommission zwei Optionen für einen Aufschub des Briten-Austritts. Entweder man verlängere bis zum Beginn der Europawahlen am 23. Mai oder bis zum Ende des Jahres. Im letzteren Fall müsse Großbritannien an der Europawahl teilnehmen.

In jedem Fall solle es nur eine einmalige Verlängerung geben, heißt es weiter. Jedes andere Szenario hätte auch direkte juristische und praktische Konsequenzen für die Europawahl in 14 EU-Ländern.

Schlimmstenfalls könnte die Konstituierung des neuen Parlaments rechtswidrig werden und nach der Wahl die Bestimmung der neuen EU-Kommission und des EU-Haushaltsrahmens gefährden. Zudem wäre jede Entscheidung anfechtbar, heißt es in dem Kommissionspapier weiter.

EU-Diplomat: Entscheidung muss früher sein

Im Falle einer Verschiebung des Brexit-Datums muss nach Angaben eines EU-Diplomaten bis Mitte April Klarheit über die Teilnahme der Briten an der Europawahl herrschen. Der Grund seien der Druck von Stimmzetteln sowie die nötige rechtliche Klarheit darüber, wie viele Sitze auf welche EU-Länder verteilt würden, fügte er hinzu. Eine kurzzeitige Verschiebung des Brexit-Datums vom 29. März wird in der EU als unproblematisch angesehen.

Deutsche Regierung begrüßt Aufschub

Die deutsche Regierung hat den Antrag für eine Verschiebung des Brexit bis 30. Juni begrüßt. "Das ist die Grundlage, auf der die EU-27 (beim EU-Gipfel) Donnerstag und Freitag reagieren können", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) rechnete am Mittwoch nach dem Ministerrat mit einer Verschiebung. Er betonte aber, dass es keine lange Verschiebung sein sollte und die Briten etwa nicht mehr an den bevorstehenden EU-Wahlen teilnehmen sollten.

Die EU und ihre Mitglieder hatten zuletzt signalisiert, eine Verlängerung nur bei einem klaren Plan für sinnvoll zu halten. Dieser müsse konstruktive Schritte für die zusätzlich gewährte Zeit beinhalten. Der Verschiebung muss nun von allen 27 anderen Mitgliedern zugestimmt werden.

Frankreich: Aufschub nicht selbstverständlich

Der mögliche Brexit-Aufschub ist nach Ansicht von Frankreich aber keine Selbstverständlichkeit. Zum einen müsse London einen Plan vorlegen und aufzeigen, wie die gewonnene Zeit genutzt werden soll, hieß es aus Elysee-Kreisen. Tenor: Man dürfe nicht unnötig aufschieben. Zum anderen dürfe das Funktionieren der Europäischen Union nicht gefährdet werden: Das gelte mit Blick auf die Europawahlen und Budgetfragen.

"Auch Gott hat Geduldsfaden"

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker rechnete vor dem EU-Gipfel am Donnerstag nicht mit einer Entscheidung zum Brexit. "Meine Einschätzung heute Morgen 8.15 Uhr ist, dass wir diese Woche nicht zu Potte kommen, sondern uns nächste Woche noch einmal treffen müssen", sagte Juncker im Deutschlandfunk. "Weil Frau May hat weder in ihrem Kabinett noch im Parlament Zustimmung zu irgendetwas."

Die EU sei bereits weit auf Großbritannien zugegangen. Es gebe keine Nachverhandlungen, keine Neuverhandlungen und keine weiteren Zusatzversicherungen. "Das Ende der Fahnenstange ist erreicht. Wenn über neue Szenarien gesprochen wird, brauchen wir eine neue Fahnenstange."

Juncker sagte: "Die Monate müssen im Endergebnis eine Zustimmung des britischen Parlaments zum Vertragstext bringen. Passiert das nicht und tritt Großbritannien nicht wie vorgesehen Ende März aus, dann sind wir - ich sage es nicht gern - in Gottes Hand." Der EU-Kommissionspräsident fügte hinzu: "Aber ich glaube auch Gott hat einen Geduldsfaden, der irgendwann reißt." Gefragt nach seinem eigenen Geduldsfaden sagte Juncker: "Ich wusste gar nicht, dass der so lang ist, wie er es in den letzten Monaten war. Aber wir brauchen Klarheit."

EU-Unterhändler Michel Barnier hatte zuvor bereits gesagt, May müsse für einen längeren Aufschub gute Gründe auf den Tisch legen, am besten neue politische Entwicklungen.

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