Israel: Dutzende Festnahmen bei Protesten gegen Justizreform
Ungeachtet massiver Proteste treibt Israels rechts-religiöse Regierung ihre umstrittene Justizreform weiter voran. Das Parlament in Jerusalem billigte nach stundenlanger Debatte in der Nacht zum Dienstag einen Gesetzentwurf, der die Handlungsmöglichkeit des Höchsten Gerichts einschränken soll. 64 von 120 Abgeordneten stimmten in erster Lesung dafür und 56 dagegen. Bis die Änderung in Kraft tritt, sind noch zwei Lesungen notwendig.
Als Reaktion gingen in den frühen Morgenstunden hunderte Israelis auf die Straßen, um gegen das Vorhaben zu protestieren. Demonstranten blockierten landesweit mehrere Straßen. Dabei schwenkten sie israelische Flaggen. Auf Protestschildern war etwa zu lesen "Wir müssen die Zerstörung der Demokratie stoppen".
Bereits 66 Festnahmen
Die Polizei setzte landesweit Wasserwerfer und Beamte auf Pferden ein, um die Mengen auseinanderzutreiben. Vereinzelt kam es zu heftigen Konfrontationen zwischen Polizei und Demonstranten, wie auf Bildern und Videoaufnahmen zu sehen war. Es wird erwartet, dass die Proteste im weiteren Laufe des Tages noch zunehmen. Am Nachmittag war laut Organisatoren eine Kundgebung am internationalen Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv mit Tausenden Menschen geplant.
Laut Polizei sind bereits dutzende Menschen festgenommen worden. Seit dem frühen Morgen habe es 66 Festnahmen gegeben, die Hälfte davon in der Küstenstadt Tel Aviv, teilte ein Sprecher am Dienstag mit. Sieben Personen davon seien mittlerweile wieder freigelassen worden.
Oppositionspolitiker Benny Gantz forderte die Polizei zu Zurückhaltung auf. Die Demonstranten seien keine Feinde. "Man wendet diese Gewalt nicht gegen Bürger an", sagte er auf einer Demonstration in Tel Aviv.
Zuvor hatten die Organisatoren der seit Monaten andauernden Proteste im Land einen "Tag der Störung" angekündigt. Tagsüber waren weitere Kundgebungen geplant. Am Nachmittag (15.00, MESZ) wollten sich demnach Tausende Demonstranten am internationalen Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv versammeln. Die Protestbewegung ist eine der größten in der Geschichte Israels, einem Land mit rund 9,4 Millionen Einwohnern, und sie umfasst breite Teile der Gesellschaft.
Der in erster Lesung verabschiedete Gesetzentwurf sieht vor, dass es dem Höchsten Gericht künftig nicht mehr möglich sein soll, eine Entscheidung der Regierung sowie einzelner Minister als "unangemessen" zu bewerten. Kritiker befürchten, dass dies Korruption und damit auch die willkürliche Besetzung hochrangiger Posten begünstigen könnte.
Die Regierung wirft dem Höchsten Gericht dagegen vor, sich zu sehr in politische Entscheidungen einzumischen. Seit mehr als einem halben Jahr spaltet das umfassende Vorhaben der Regierung große Teile der israelischen Gesellschaft. Weiteres Ziel der Reform ist es, dass Politiker mehr Einfluss bei der Ernennung von Richtern erhalten sollen. Dieses Kernvorhaben der Reform soll Medien zufolge in der nächsten Sitzungsperiode im Herbst auf die Agenda gesetzt werden.
Anfang des Jahres hatte das Höchste Gericht die Ernennung des Vorsitzenden der Shas-Partei, Arie Deri, zum Innenminister wegen dessen krimineller Vergangenheit als "unangemessen" eingestuft. Daraufhin musste Ministerpräsident Benjamin Netanyahu seinen Vertrauten entlassen. Beobachter erwarten, dass die Regierung dies wieder rückgängig machen will.
Der Staat Israel hat keine schriftliche Verfassung und fußt stattdessen auf einer Sammlung von Grundgesetzen. Daher kommt dem Höchsten Gericht eine besondere Bedeutung bei der Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu.
Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hatte die umfassenden Pläne zum Umbau der Justiz nach massivem Druck Ende März zunächst gestoppt, vor rund drei Wochen jedoch wieder leicht abgeschwächt auf die Agenda gesetzt. Monatelange Gespräche über einen Kompromiss unter Vermittlung von Präsident Yitzhak (Isaac) Herzog zwischen Regierung und Opposition blieben erfolglos.
Am Sonntagabend forderte Herzog in einem eindringlichen Appell beide Parteien auf, den Dialog wieder zu suchen. Alles andere sei "ein Fehler von historischem Ausmaß". Die Opposition zeigte sich am Montag gesprächsbereit, sollte die Regierung ihre Pläne stoppen. Medienberichten zufolge teilte Netanyahu am Abend Herzog mit, diese weiter vorantreiben zu wollen.
Netanyahus Koalition ist die am weitesten rechts stehende, die das Land je hatte. Die Gesetzesänderungen erfolgen auch auf Druck von Netanyahus strengreligiösen Koalitionspartnern. Sie könnten Netanyahu laut Experten jedoch auch in einem schon länger gegen ihn laufenden Korruptionsprozess in die Hände spielen.